Der Distelfink
Die Vorlage: ein Roman, der über 1,5 Millionen Mal verkauft wurde und der 2014 mit dem Pulitzer-Preis im Bereich Belletristik ausgezeichnet wurde. Der Versuch: 784 Seiten Literatur in 149 Filmminuten zu bannen.
Das Leben des 13-jährigen Theo (Oakes Fegley) wird auf tragische Weise auf den Kopf gestellt, nachdem seine Mutter durch einen Bombenanschlag auf das Metropolitan Museum of Art in New York ums Leben kommt. In unüberlegter Panik nimmt er ein berühmtes Gemälde an sich, zu welchem er eine sehr persönliche emotionale Bindung aufbaut: Der Distelfink, gemalt von Carel Fabritius. Dass dies ohne Konsequenzen bleibt, ist ein Wunschdenken Theos, das einige Jahre später immer mehr von der Realität eingeholt wird.
Literaturverfilmungen haben von Grund auf bereits einen schweren Stand beim Publikum. Auf der einen Seite gibt es die Leser, die meistens das Buch, dem Film vorziehen. Auf der anderen Seite gibt es die Zuseherinnen und Zuseher, die nur die Bilder auf der Leinwand beurteilen können. Es gleicht einer Sisyphus-Aufgabe beide Seiten zufrieden stellen zu wollen. Aus diesem Grund wurde John Crowley als Regieführende Instanz für Der Distelfink ausgewählt. Der irische Filmemacher hat bereits 2015 mit Brooklyn bewiesen, dass er gekonnt Buchstaben in Bilder verwandeln kann. Leider gelingt es Crowley nicht, mit seinem aktuellsten Werk zu überzeugen. Der Distelfink wirkt wie ein angehäufter Stapel an Problemen, welche narrativ unzureichend miteinander verknüpft wurden. Es fehlt an erzählerischem Klebstoff, welcher die Komplikationen im Leben des heranwachsenden Protagonisten stimmig an die Handlung heften. Auch in Sachen Pacing leidet die Verfilmung unter der großen Seitenanzahl der Romanvorlage. Bestimmte Lebensabschnitte Theos sind sehr detailliert dargestellt, andere Situationen und Handlungsstränge werden zu kurz und oberflächlich angeschnitten. Mit 149 Minuten Laufzeit wirkt Der Distelfink doch zu langatmig.
Die Geschichte rund um den Protagonisten Theo ist in ein „Quasi-Coming of Age Drama“ verpackt. Quasi, weil eigentlich nur zwei Zeiträume im Leben Theos thematisiert werden, der Zeitraum des jungen Theos und der des älteren. Dass der Film nicht in das klassische Coming of Age-Genre passt, ist ihm nicht negativ anzukreiden, vielmehr bietet diese Auslegung größeres Vergleichspotential, gerade schauspielerisch. Die Szenen mit Oakes Fegley, der die jungen Jahre der Hauptfigur mimt, heben sich deutlich von denen des älteren Theos, verkörpert von Ansel Elgort (Baby Driver), ab. Der junge Schauspieler verleiht der Figur eine melancholische Lebendigkeit, welche die Szenen rund um den jüngeren Lebensabschnitt interessanter und schauspielerisch besser abbilden. Dagegen wirkt das Spiel von Herrn Elgort leer und unerfüllt. Die prominent besetzten Nebenrollen von Nicole Kidman, Jeffrey Wright, Luke Wilson oder unter anderem Finn Wolfhard sind solide gespielt. Mehr auch nicht. Im Rampenlicht bleibt der Nachwuchsschauspieler Oakes Fegley, der eine sehr gute Leistung präsentiert.
Visuell besticht Der Distelfink durch ästhetisch interessante Szenenbilder und einer angenehm ruhigen Kameraführung, passend zu einem kühlen Drama. Die Bilder bleiben unaufgeregt und werden dann explosiv, wenn die sehr gut portionierten Szenen rund um den Bombenanschlag auf das New Yorker Museum über die Leinwand flimmern. Der Score ist üblich für das Genre emotionalisierend aber doch zurückhaltend, was den Fokus auf das Spiel der Darstellerinnen und Darsteller lenkt. Eine Entscheidung, die für das Mainstream-Drama doch mutig ist, da dort viel Emotion über die meist sehr präsente Musik vermittelt wird.
Der Distelfink bleibt nach knapp zweieinhalb Stunden Laufzeit ein solides, nüchternes Drama, das gerade durch den Cast, das Schauspiel und die grundlegend interessante Geschichte punktet. Kenner der Buchvorlage können zuversichtlich ins Kino gehen, werden jedoch sicherlich, wie üblich, stellenweise ihre Schwierigkeiten mit der filmischen Umsetzung haben. Nicht-Leser sollten sich auf einen langen und emotionalen Kinobesuch einstellen.
Regie: John Crowley, Drehbuch: Peter Straughan nach dem Roman „The Goldfinch“ von Donna Tartt, Darsteller: Oakes Fegley, Ansel Elgort, Nicole Kidman, Jeffrey Wright, Luke Wilson, Sarah Paulson, Finn Wolfhard, Filmlänge: 149 Minuten, Filmstart: 27.09.2019