Bei den Dreharbeiten zu Satan’s Girls von Robert Tarantino
Den Namen Tarantino kennt jeder. Er ist ein Markenzeichen für sich, mit dem man sofort Meisterwerke wie Kill Bill, Inglourious Basterds, Django Unchained und The Hateful Eight verbindet. Den heimischen Trash-Filmemacher Robert Tarantino kennen jedoch leider zu wenige und ist für solch herrliche, trashig billige “Schundfilme” wie Vampire City und Vampire City 2: Rock ’N Roll Zombies from Outer Space verantwortlich.
Dabei wurde ihm sogar schon eine eigene Dokumentation gewidmet. Der iranische Filmemacher Houchang Allahyari hat dem passionierten Filmemacher, den es nur darum geht seine Filme einfach und schnell zu machen, den es um Leidenschaft und Spaß geht, den es schlichtweg um das Filmemachen an sich geht, ein filmisches Denkmal mit dem Titel Robert Tarantino – Rebel Without a Crew gesetzt. Was macht man also, wenn man die Chance bekommt bei den Dreharbeiten zu seinem neuen Film Satan’s Girls dabei sein zu dürfen? Na klar, man schnappt sich seine Sachen und taucht ein in die filmische Welt und Vision dieses leidenschaftlichen Filmemachers.
AUFBLENDE
Aussen, verlassene Tischlerei – Tag
Etwas unschlüssig stehe ich am frühen Abend vor einem Altbau in der Palffygasse im 17. Bezirk. Die Hausnummer stimmt. Die Fenster im Erdgeschoss sind verstaubt und leicht verschmiert, machen es schwer einen Blick hinein zu werfen. Aber selbst wenn, würde man nicht viel sehen, außer alte Möbel und Regale in einem großen Raum, keinerlei Beleuchtung und ein schummriges Vorzimmer weiter hinten.
Ich überprüfe die Gegensprechanlage und die Namen. Natürlich steht nirgends Satan’s Girls oder Robert Tarantino oder Wolf Morrison oder zumindest “Sehr geehrter Herr Rauch, für ihren Abstieg in die Hölle der satanistischen Mädels bitte hier läuten”. Manch einer würde vielleicht das Handtuch werfen und sich arroganterweise als Voice Over denken:
Marco (arrogante Voice Over):
Dann hat der Mensch halt Pech gehabt, wenn er mich nicht mit einem roten Teppich einlädt und gebührend empfängt. Tschüß, baba.
Zum Glück behalte ich aber meine arroganten Voice Overs meistens für mich.
Stattdessen greife ich zur Wunderwaffe unserer Generation, zum He-Man Schwert des 21. Jahrhunderts, die jeden von uns in den Irrglauben führt zum mächtigsten Mann – oder Frau – des Universums zu werden. Ich greife zum Handy und wähle seine Nummer. Und ein kurzes, undramatisches Gespräch später, kommt er schon aus der Tür.
Innen, verlassene Tischlerei – Tag
Ein junggebliebener Mann, mit einem neugierig verspielten Blick, der an allem interessiert zu sein scheint, stellt sich mir als Wolf vor, und ist natürlich ROBERT TARANTINO, und begleitet mich ins Innere. Führt mich durch ein breites Stiegenhaus in den ebenerdigen Raum, den ich vorher nur von außen gesehen hab.
Marco:
Habt’s ihr schon angefangen?
Robert:
Nein, wir sind auch gerade erst gekommen.
Er bringt mich in
Innen, Umkleideraum/Set/Probezimmer/Wartezimmer/Verpflegungsraum – Tag
Dort sitzt einer der Darsteller, der Schauspieler MEHDI MALAYERI,
und probt gerade seinen Text. Schreibt ihn etwas um. Spricht auf Englisch seinen Text vor. Macht sich Notizen.
Mehdi Malayeri:
Actor Robert Singer found tonight dead in his apartment. He was a serial killer in real life. – John Flynn, SuperNews TV.
Er hat breite Schultern, eine imposante Statur, wirkt konzentriert, aber gleichzeitig höflich. Stellt sich mir als Mehdi Malayeri vor und zeigt keinerlei Allüren oder Berührungsängste. Schauspieler sind halt scheinbar auch nur ganz normale Menschen. Wer hätte das gedacht …
Mehdi Malayeri:
Actor Robert Singer found tonight dead in his apartment. He was a serial killer in real life. – John Flynn, SuperNews TV. – Ist es okay, wenn ich das “tonight” am Ende des Satzes einfüg? Also: Actor Robert Singer found dead in his apartment tonight. He was a serial killer in real life. – John Flynn, SuperNews TV.
Marco (V.O.):
Eine Änderung am Drehbuch? Vor den Augen des Regisseurs und Drehbuchautors? Klar, es ist nur ne kleine Änderung, aber Filmemacher sind schon wegen weniger an die Decke gegangen. Jetzt gibt es gleich den ersten Streit. Eine Auseinandersetzung. Einen dramatischen Höhepunkt. Was fällt ihm ein, einfach so den Text des Filmemachers zu ändern, bloß weil er lieber dieses statt jenes sagt? So geht das doch nicht.
Ich verkrampfe mich innerlich und erwarte das gefürchtete Donnerwetter eines Stanley Kubrick.
Robert Tarantino (stellt sich zu ihm und wirft einen Blick ins Drehbuch):
Ja, klar. Sicher. Sag es, wie du dir leichter tust. Wie es für dich natürlicher ist.
Mehdi:
Ich find, es klingt so besser.
Marco (Voice Over):
Okay, gut. Ist ja nicht jeder so wie Stanley Kubrick. Und macht ja auch durchaus Sinn, es dem Schauspieler so sagen zu lassen, dass es natürlicher und echter klingt.
Mehdi:
Actor Robert Singer found dead in his apartment tonight. He was a serial killer in real life. – John Flynn, SuperNews TV.
Marco (Voice Over):
Und der Sinn bleibt ja der Gleiche.
Robert geht zu seinem Equipment, eine simple Handkamera …
Marco (V.O.):
Behaupte ich mit meinem technisch ungeschulten Auge. Aber Robert klärt mich auf …
… und bereitet sie zum Drehen vor. Das heißt: er überprüft den Akku, gibt ihn in die Kamera. Überprüft das Bild, ob alles funktioniert.
Robert unterbricht das Vorbereiten der Ausrüstung, dreht sich zu mir um, sprich, er blickt direkt in die Kamera.
Robert:
Eigentlich handelt es sich dabei um eine Panasonic AG-AC 90. Die kann man eigentlich nicht als simple Handkamera bezeichnen.
Während er das sagt und uns über die wahre Natur seiner Kamera aufklärt, steckt er oben ein Mikro dran. So unaufgeregt geht es also auch. Da ist man von manchen Sets und dem ganzen Aufwand …
Marco (V. O.):
Man möchte fast meinen, teilweise komplett unnnötigen Aufwand …
… anderes gewohnt.
Marco (V.O.):
Ist mal angenehm. So könnte ich mir das auch vorstellen, Filme zu machen. So könnte das sogar Spaß machen.
Getränke und Snacks werden angeboten.
PLÖTZLICH schwere Atmung neben mir. Hat der Schauspieler eine Panikattacke? Kommt er jetzt doch mit Allüren? Schmeckt ihm das Vöslauer Melone nicht? Möchte er Koks und Nutten? Oder zumindest eine thailändische Massage?
Mehdi:
Atemübungen …
… beruhigt er mich. Er hat wohl meinen panischen Blick bemerkt.
Mehdi:
Hab ich bei der Theaterausbildung gelernt.
Dann nimmt er seine Brille ab.
Mehdi:
Actor Robert Singer found dead in his apartment tonight. He was a serial killer in real life. – John Flynn, SuperNews TV. (zu Tarantino): Ist es okay, wenn ich die Szene ohne Brille dreh oder magst du mich lieber mit Brille haben?
Robert lässt sich die unterschiedlichen Looks zeigen. Also mit und ohne Brille. Eine frappierende Verwandlung findet statt.
Marco (V.O.):
Nicht, dass ihr jetzt denkt es dauert Stunden, bis sich der Regisseur entscheidet. Oder dass er jetzt unzählige Probeaufnahmen und verschiedene Beleuchtungen ausprobiert. Wozu soll das gut sein?
Robert sieht sich beides kurz an, dann:
Robert:
Nein, ohne Brille passt schon. (Dann zu mir gewandt): Der Mehdi hat schon bei meinem Film Paranormal Shades den Ermittler gespielt.
Mehdi Malayeri:
Lt. Brick Dexter
Kurz darauf kommt VERONIKA BUCHECKER,
die 2009 die Hauptrolle in Vampire City 2: Rock ‘N Roll Zombies from Outer Space gespielt hat, in einem knappen, schwarzen Kleid hereinspaziert.
Veronika:
Schau mal, passt dir das so? (Sie zeigt ihm ihr Make-Up) Oder soll ich noch irgendwas stärker schminken?
Robert (begutachtet das Make-Up):
Passt perfekt so.
Veronika:
Und die Schuhe?
Robert:
Super.
Von draußen ruft eine andere Frau rein:
Frau (Off Screen):
Wenn ihr geht’s, schaut’s bitte, dass die Fenster zu sind.
Marco (V.O.):
Wer war das?
Robert (liest meine Gedanken):
Das war die Besitzerin vom Haus. Das war früher mal eine Tischlerei, aber sie sind schon in Pension.
Marco:
Dreht’s ihr alles hier?
Robert:
Vieles. Unten haben wir zum Beispiel die Hölle eingerichtet. Oben gibt’s noch Zimmer. (Dreht sich zu Veronika um): Aja, wenn du mit ihr Schluss machst, brauch ich dich, dass du was nach ihm wirfst. (Wieder zu mir): Hab schon meine letzten zwei Filme hier gemacht.
Veronika:
Da findet sich sicher irgendwas. Zur Not kann ich ja einen Vogel nach dir werfen.
Marco (V.O.):
Aha, ausgestopfte Vögel gibt’s hier also auch. Fast wie bei Hitchcock.
Robert:
Gut, dann geh ich mich auch mal umziehen.
Gesagt, getan. Da braucht es keine eigene Umkleide oder gar einen persönlichen Trailer oder Wohnwagen, das Zimmer nebenan tut es auch.
Robert (wieder zurück in einem schicken Anzug):
Dann gehen wir mal rauf. (Zu mir): Bei der Sexszene müssen wir dich dann aber vielleicht raushauen.
Marco (V.O.):
Schade. (Zu ihm): Ja, ist klar.
Innen, Oberes Zimmer – Tag
Lautes Vogelgezwitscher. Ich blicke in einen Seitenraum. Große Vogelgehege und augeregte Vögel begrüßen mich. Sie schauen gut gefüttert aus und die Käfige sind sauber.
Marco (V.O.):
Also doch keine ausgestopften Vögel.
Wohnzimmer
Im Wohnzimmer stellt Robert Tarantino das Stativ ab. Auf dem Tisch liegen die Seiten des Drehbuchs, die Szenen, die heute gedreht werden. Veronika hat ihre Stellen mit einem Leuchtstift markiert.
Robert:
In der Szene verlässt John seine Frau Suzi. Der Satan nutzt ihre Verzweiflung aus und verführt sie. Danach gehört ihre Seele ihm.
Zufall, dass sich Tarantino selbst die Rolle des Teufels auf den Leib geschrieben hat? Na gut, als Filmemacher muss man ja auch gewisse Vorzüge haben.
Marco (V.O.):
Ich würde es wohl genauso machen.
Schlafzimmer
Dann nimmt er die Kamera und geht alles durch. Ein Probedurchlauf. Feinheiten werden besprochen. Und schon wird das erste Take gedreht. Auch nur zur Probe. Dann geht es los.
TOTALE auf die zwei Schauspieler.
Sie spielen die Szene. Sie weint. Er sitzt gemütlich (man könnte fast sagen, etwas arrogant) im Sessel und macht mit ihr Schluss. Er verlässt sie nicht für einen Mann Namens Harry, sondern für eine Frau Namens Mary. Da hat sie wohl was falsch verstanden. Macht es für sie nicht leichter. Sie schmeißt ihn raus und schleudert ihm einen Polster auf den Rücken.
Robert:
Super, danke.
Veronika und Mehdi:
Wie war’s?
Robert:
Gut, das passt. Jetzt machen wir das mit einer Halbnahe auf dich (meint damit Veronika).
HALBNAHE: die gleiche Szene nochmal.
Robert ist auch hier mit dem ersten Take zufrieden. Der Schauspieler war diesmal weniger zufrieden mit seiner Leistung. Der Regisseur ignoriert das aber. Immerhin entsteht ja vieles beim Film im Schnitt. Das darf man nicht unterschätzen.
Dann läuft das Prozedere noch in einer NAHEINSTELLUNG ab und im Anschluss das Gleiche mit Mehdi im Fokus. Robert braucht immer nur einen Take. Er gibt es auch unumwunden zu: das wird ein Trash-Film, nicht mehr, nicht weniger.
Im Anschluss und nach Abwehr einiger Motten und dem Überzeugen von Veronika, dass das Bett ungefährlich ist und die Motten jetzt alle aufgescheucht sind, kommt die Verführung des Teufels.
Marco (V.O.):
Wer jetzt glaubt, dass es einen Regieassistenten gibt, der die Kamera bedient, während Robert selbst vor der Kamera steht, irrt sich. Mehdi wird kurzer Hand zum Kameramann “befördert” und übernimmt die Aufgabe die Schauspieler ins rechte Licht zu rücken.
Wo wir gerade bei Beleuchtung sind:in diesen Szenen wird nur mit natürlichem Licht gedreht. Da gibt es keinen großen Setaufbau oder Lichteinstellungen und dergleichen, die Stunden an Zeit verschlingen. Das Licht im Zimmer wird aufgedreht und die Kamera einfach auf das Geschehen gerichtet. So unspektakulär kann es sein. Und es reicht völlig. Es geht nur ums Erzählen einer Geschichte auf die einfachste und gleichzeitig effektivste Weise.
Robert:
Jetzt haben wir ja einen zusätzlichen Mann, der uns den Text einsagen kann.
Marco (V.O.):
Was? Wen meint er damit? Mich? Ich war mit den Gedanken gerade ganz woanders. Bei der erstaunlichen Einfachheit mit der man einen Film machen kann. Und jetzt werde ich plötzlich vom simplen Zuschauer quasi zum Script-Girl.
Robert drückt mir das Drehbuch in die Hand, positioniert mich knapp hinter der Kamera und schon bin ich bereit im Notfall, falls einem Darsteller der Text nicht einfällt, einzuspringen und einzusagen.
Allerdings gibt es für mich nicht viel zu tun, denn kaum habe ich das Drehbuch in der Hand, können die Schauspieler ihre jeweiligen Textstellen perfekt.
Wieder wird die Szene in verschiedenen Einstellungen durchgespielt. Robert sieht sie sich auf der Kamera an, hört sich den Ton an und befindet sie für gut. Schon geht es weiter zur nächsten Szene:
Die Sex-Szene
Der Teufel liegt mit der verführten Frau im Bett. Natürlich gibt es nicht viel zu sehen. Sie sind zugedeckt. Und machen es unter einer dicken Decke, die alle ins Schwitzen bringt. Obwohl ich nicht weiß, wieso Mehdi und ich schwitzen, aber wir tun es. Das nennt man wohl Eifer des Gefechts.
Marco (V.O.):
Böse nun, wer denkt, dass unser Schweiß von der Sexszene herrührt. Vielmehr liegt es daran, dass wir einfach derart viel lachen müssen, dass es einfach nicht anders geht, als zu schwitzen. Auch Veronika und Robert lachen, sobald die Szene gedreht ist. Mein ernüchterndes Resümee: Sex ist nur heiß, wenn man ihn selber hat, aber niemals bei Dreharbeiten an einem Film.
Nachdem die Szene fertig ist und die Darsteller wieder sittsam gekleidet sind, verabschiede ich mich vom Set. Es ist eine erstaunliche Erfahrung, wie einfach und effizient Filmemachen auch sein kann, wenn es nicht um das ganze Drumherum und den Aufwand des Machens geht, sondern schlichtweg um eine Geschichte, die mit Hilfe einer Kamera erzählt wird. Wie unaufgeregt einfach es doch sein kann. Und beim Hinausgehen fällt mir etwas ein, was der Schriftsteller und Drehbuchautor William Goldman einmal gesagt hat.
William Goldman:
Es gibt nichts aufregenderes als den ersten Tag am Set. Und nichts langweiligeres als den Zweiten.
Marco (V.O.):
Der gute William dürfte wohl noch nie an einem Set von Robert Tarantino gewesen sein. Selten habe ich bei Dreharbeiten so viel Humor und Lockerheit erlebt. Der Mythos des Filmemachens wird entzaubert und zurück bleibt nur mehr die Faszination und der Mythos des Films selbst. Ja, so muss Filmemachen Spaß machen.
ABBLENDE
ENDE.