Josef von Sternberg: The Salvation Hunters und The Case of Lena Smith
Als 1925 The Salvation Hunters, der erste Film Josef von Sternbergs, in die amerikanischen Kinos kam, spiegelten die Pressestimmen Ratlosigkeit: War es das Werk eines Genies oder das genaue Gegenteil? Charles Chaplin bewunderte ihn. Der Film sei „anders“, so der Common Sense in Hollywood.
Dieser Eindruck ist es auch, der sich bei Sichtung der kürzlich vom Österreichischen Filmmuseum herausgegebenen DVD-Ausgabe von The Salvation Hunters verfestigt, nicht zuletzt dank dem ergänzenden Videoessay Josef von Sternberg, Salvation Hunter von Janet Bergstrom. In diesem nähert sich die Filmwissenschaftlerin der Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte des Films anhand von biografischen Notizen, Reaktionen der Presse und aus dem Branchenumfeld sowie Kommentaren zu Szenen. Die Entstehungsbedingungen scheinen nicht äußere Umstände, sondern gewissermaßen parabelhaft konstruktiv für ein Gesamtkunstwerk gewesen zu sein, dessen existentialistischer Bildrealismus in seinem Ausdruck eine berührende (für manche Kritiker wohl auch befremdliche) Schönheit entfaltet.
Das geringe Budget – das aus den Ersparnissen von Sternbergs und des als Produzent und Hauptdarsteller fungierenden George K. Arthur gespeist wurde –, die großteils unbekannten SchauspielerInnen und die Drehorte aus beinah zur Gänze öffentlichen Schauplätzen und einem billigen Studioset standen im Gegensatz zum Bestreben in Hollywood als Regisseur anerkannt zu werden. „Paradox Sternberg“ nennt Bergstrom diese Diskrepanz, die noch durch seine Mainstream abträgliche Erzählweise verstärkt wurde. Dem Prolog des Films folgend, ging es Sternberg um die Visualisierung eines Gedankens. Kein Spiel des Körpers, sondern Bilddichtung aus durchkomponierten und mit einer Vielzahl von zeichenhaften Arrangements (nicht nur aus Licht und Schatten) aufgeladenen Einstellungen entstand.
Der Gedanke motiviert eine simple Story, deren Handlung nicht nur sprichwörtlich darin besteht, dass ein Junge, ein Mädchen und ein Kind ausziehen, von der Schlammseite auf die Sonnenseite des Lebens zu gelangen. All die Schauplätze befinden sich in Los Angeles und sind doch austauschbar: ein Hafen, eine Stadt „wie alle anderen“. Die „Karriereleiter“ des Jungen, die Sternberg wie andere Sprachbegriffe symbolhaft ins Filmbild überträgt und die schlichtweg darin besteht irgendeine Arbeit zu finden, führt ins Nirgendwo: „A thought that guides humans who crawl close to the earth – – whose lives are simple – – who begin nowhere and end nowhere.“ Es ist ein Gleichnis des Menschenrechtes auf Glück, moralische Integrität und sozialen Aufstieg, das zwar im verknappten Fokus auf das bloße Überleben zugespitzt wird, sich darin aber nicht erschöpft. Das Ende erlaubt es, „nirgendwo“ in ein hoffnungsvolles „überall“ zu übersetzen.
Einen besonders raren Glücksmoment im Widerstand gegen ein Nirgendwo, dem viele Stummfilme anheimfielen, bietet das ebenfalls auf der DVD enthaltene Fragment The Case of Lena Smith. Der letzte Stummfilm Josef von Sternbergs aus dem Jahr 1929 galt lange Zeit als verloren, da die letzte Kopie in den 1950er-Jahren der Furcht vor dem hochentflammbaren Nitromaterial geopfert worden war, bis 2003 von einem japanischen Filmhistoriker in China ein vierminütiges Teilstück gefunden wurde. In dem vom Waseda University Tsubouchi Memorial Theatre Museum zur Verfügung gestellten Material ist eine Szene im nachempfundenen Wiener Prater zu sehen. Die Sequenz gibt Anlass die bereits im Jahr 2007 von Alexander Horwath und Michael Omasta um das Fundstück herausgegebene Publikation über diesen letzten Stummfilm Sternbergs noch einmal zur Hand zu nehmen.
Die darin in hervorragender Weise versammelten Dokumente und die mittels diesem in unterschiedlichen Schichten erstehende Rekonstruktion des Films macht die kurze Episode in ihrem Zusammenhang verständlich. Die Protagonistin kämpft in der Klassengesellschaft der Donaumonarchie gegen die Staatsgewalt, deren zugrundeliegender Gedanke sich im Gang der Geschichte letzten Endes in der Urkatastrophe erschöpft. Und darin trifft sich die dekadente Stimmung des Films vielleicht mit The Salvation Hunters, in dem es lautet: „A thought can create and destroy nations – – and it is all the more powerful because it is born of suffering, lives in silence, and dies when it has done its work.“
Das auf der DVD enthaltene Material bietet mit The Salvation Hunters nicht nur eine optimistische Filmparabel, die zugleich in die Welt des Ausnahmeregisseurs Josef von Sternberg einlädt, sondern birgt mit dem Fall Lena Smith auch den Hoffnungsschimmer, noch andere Schätze des vernachlässigten Stummfilmerbes aufzufinden und wiederzubeleben. Die für die DVD erfolgte musikalische Begleitung von The Salvation Hunters durch Siegfried Friedrich gibt dem Film eine entsprechende Einfassung, wenngleich stumm eine noch einmal andere, vielleicht auch existentialistisch stärkere Qualität der Sternberg‘schen Bildkompositionen wahrzunehmen ist. Schließlich lässt die Vielschichtigkeit der Sternberg‘schen Bildsprache auch ein filmhistorisches Gleichnis zu. Viele frühen Filme, die wie Gedanken ihr Leben in Stille fristeten, hatten mit dem Übergang zum Tonfilm – das parallel zum Erscheinen von The Case of Lena Smith erfolgte – ihre Arbeit getan. Das „Dedicated to the derelicts of the earth“, das Sternberg The Salvation Hunters voranstellte, mag auch für die vielen Filme gelten, die noch im Nirgendwo eines archivarischen Obdachs und einer Wiederentdeckung durch das Publikum harren.
The Salvation Hunters (1925), Regie und Drehbuch: Josef von Sternberg, Musikbegleitung: Siegfried Friedrich, Darsteller: George K. Arthur, Georgia Hale, Bruce Guerin, Filmlänge: 70 Minuten
The Case of Lena Smith (1929), Regie: Josef von Sternberg, Drehbuch: Jules Furthman, Darsteller: Esther Ralston, James Hall, Gustav von Seyffertitz, Filmlänge: 4 Minuten (Fragment)
Josef von Sternberg, Salvation Hunter (2016), Regie: Janet Bergstrom, Filmlänge: 32 Minuten
Die DVD beinhaltet zudem ein 20seitiges Booklet mit einem Essay von Janet Bergstrom.