Bodkin Ras
Ein Fremder betritt ein kleines schottisches Dorf und daraus entwickelt sich in Bodkin Ras ein eindringliches Drama, das gekonnt fiktives mit dokumentarischem mischt.
Bodkin (Sohrab Bayat) flüchtet. Wovor er flüchtet weiß man noch nicht, aber er ist gehetzt und gejagt- das macht schon die verwackelte Handkamera deutlich. Endlich erreicht er das kleine Dorf Forres, versucht sich dort einzuleben und vor seinen Verfolgern zu verstecken. Er lernt die örtlichen Alkoholiker sowi Randfiguren kennen und die meisten von ihnen nehmen ihn gerne auf. Er findet Arbeit und eine Freundin, alles scheint bestens. Bis ihn seine Dämonen einholen und selbst in diesem verschlafenen Dorf finden.
Was mit den Motiven eines Westerns beginnt – ein Fremder kommt in eine Stadt und ändert dadurch das Leben zahlreicher Bewohner – und im weiteren Handlungsverlauf an Der Fremde von Albert Camus erinnert, wird zusehends zu einem dichten, sich langsam entfaltendem Drama. Die wahren Verfolger von Bodkin kommen nämlich nicht von außen, sondern stecken in ihm und er ladet sie damit mehr oder minder in das Dorf ein. Schon die oftmals nervöse und ständig lauernde Handkamera reißt den Zuschauer gleich direkt in die Handlung hinein und zu den Figuren, macht das Publikum in gewisser Weise zu einem unsichtbaren Dorfbewohner und zeigt eindrucksvoll, wozu eine bewusst wackelnde Kamerführung abseits von pseudo-dokumentarisch gefilmten Actionszenen fähig sein kann.
Die Vorgeschichte und Motivation von Bodkin entwickelt sich langsam – schleicht sich also in die Handlung ein – nur um am Ende umso härter und unvermittelter zuzuschlagen. Dadurch entwickelt Bodkin Ras einen dramaturgischen Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann. Es ist fast so, als würde man selbst in dem gemütlichen Dorf mit seinen sympathischen, leicht verschrobenen Bewohnern aufgenommen werden, nur um dann genau so hart wie Protagonist Bodkin wieder rausgerissen zu werden. Das dies gelingt liegt zum einen natürlich an der Regie, aber zum anderen auch an dem hervorragenden Hauptdarsteller wie auch (im gleichen Ausmaß) an den Nebendarstellern, die allesamt keine professionellen Schauspieler sondern reale Dorfbewohner sind, die sich selbst verkörpern und dabei persönliche Geschichten sowie Schicksalsschläge offenbaren, welche die Handlung widerspiegeln und gleichzeitig erschütternd tragisch wirken.
Nicht nur, dass Sohrab Bayat hier eine grandiose Leistung abliefert, es sind auch die erwähnten Dorfbewohner, die den Film mit ihrem eigenen Charme anreichern und nahezu perfekt in die fiktive Handlung integriert sind. In keiner Sekunde würde man daran denken hier Laiendarsteller zu sehen, was im Umkehrschluss auch wiederum dazu führt, dass man keinen Moment daran zweifelt, dass die Handlung und das Schicksal Bodkins nicht ein ebenso reales sein könnte. Wie es dem jungen Regisseur Kaweh Modiri gelingt, fiktives und dokumentarisches zu mischen, zeugt zudem von wahrem Talent. Das Zusammenspiel funktioniert so perfekt, dass die Grenzen nicht nur verschwimmen, sondern schlichtweg aufgelöst werden und nicht mehr existieren. So wie auch die Grenzen zwischen dem Fremden und den Einheimischen verschwinden.
Kaweh Modiri hat mit Bodkin Ras, durch die Mischung von professionellem Schauspieler und Laien, dem völligen Auflösen von Spiel- und Dokumentarfilm, nicht nur die seelische Landschaft seines Protagonisten eingefangen, sondern gleichzeitig ein Panorama an Randfiguren der Gesellschaft dargestellt, die das Ausgestoßene der Hauptfigur spiegeln. Man vergisst Eddie Paton, Lily Szramko und all die anderen einfach nicht mehr. Ihm gelingt es, mit minimalen Mitteln eine ganze Welt an Menschen zu etablieren, die im Verlauf zeigen, dass wir alle Fehler machen, dass wir alle nur Menschen sind. Wie es James „Red“ Macmillan am Schluss sinngemäß und treffend formuliert: „Vielleicht sollten wir anfangen auch die Menschen zu lieben, die uns hassen.“
Regie und Drehbuch: Kaweh Modiri, Darsteller: Sohrab Bayat, Lily Szramko, Eddie Paton, James „Red“ Macmillan, Seaon O’Reilly, Filmlänge: 79 Minuten, gezeigt im Rahmen der Viennale V’16