The Witch
Frömmigkeit und Gottesfurcht sind in Robert Eggers subversivem Märchen über die teuflische Heimsuchung einer Familie keine Waffen gegen das Unheil. Sie sind dessen Ursprung.
Der Teufel kenne die Worte der Schrift, ruft der hilflose Familienvater William (Ralph Ineson) im Angesicht des Bösen. Dessen wahre Ursache zu erkennen vermag der strenge Calvinist nicht, obwohl er nah dran ist. Ignoranz ist ein zentrales Thema des faszinierenden Kinodebüts, dessen eindringliche Bilderwelt voll sardonischer Doppeldeutigkeit und psychologischer Anspielungen steckt. Eggers Szenen sind in einem kühlen Realismus, inspiriert von Ingmar Bergman und Carl Theodor Dreyer, gefilmt und die Dialoge basieren auf historischen Berichten aus dem puritanischen Neuengland des 17. Jahrhunderts.
Diese Pragmatik verleiht unwirklichen Elementen wie einem Blutbottich, in dem eine Alte ein ungetauftes Kind verarbeitet, eine verstörende Kraft. Die religiöse Paranoia, die William und seine Frau Katherine (Kate Dickie) ihren Kindern eingeimpft haben, wie sie wohl einst ihnen eingeimpft wurde, überträgt sich schleichend auf die Zuschauer. Die Hexe im Wald kann die Gestalt eines Hasen annehmen. Der Teufel kann in dem schwarzen Ziegenbock, von dem die Zwillinge Mercy (Ellie Grainger) und Jonas (Lucas Dawson) sagen, er rede mit ihnen.
Die Hexe und ihr Gefolge erscheinen in phantasmagorischen Szenen, die wie lebendig gewordene Kupferstiche und Holzschnitte von Dürer, Cranach und Holbein wirken. Die Siedler in der unwirtlichen Neuen Welt haben Komfort und Aufklärung ihrer Heimat hinter sich gelassen, doch die primitive Furcht vor einer unbeherrschbaren Weiblichkeit und der Natur haben sie mitgebracht und sie gedeiht in der Handlungszeit nicht lange vor den Hexenprozessen von Salem. Der von William ausgesäte Mais hingegen verfault: ein Zeichen für die inhärente Verderbtheit der herrschenden Strukturen.
Die Missgunst offenbart sich auf dem Hof am Waldrand, den die Familie nach ihrer Verbannung aus der Gemeinde bewohnt, nachdem das Neugeborene verschwindet. Katherine verdächtigt die älteste Tochter Thomasin (Anya Taylor-Joy), sie sei eine Hexe. Die Titelfigur verkörpert die Außenseiterin, auf die die patriarchalische Hegemonie ihre Schuld und Angst projiziert. Der älteste Sohn Caleb (Harvey Scrimshaw), ein fleißiger Schüler der calvinistischen Lehren seines bigotten Vaters, wird Opfer seiner eigenen unterdrückten Lust. Sein Schicksal gibt einen Eindruck davon, was mit Hänsel ohne Gretel passiert wäre.
Die ausgeweideten Haustiere versinnbildlichen, wie die Angehörigen sich selbst und einander zerfleischen. Thomasin wird zur Zielscheibe der mütterlichen Eifersucht und der heimtückischen Streiche der Zwillinge. Regisseur und Drehbuchautor Eggers zeigt den repressiven Religionseifer als moralischen Abgrund, in den die Protagonisten blind taumeln. Sein Gruselthriller zeigt klarsichtig und radikal, welches Gedankengut die christliche Religion tatsächlich in sich trägt. Hinter der rechtschaffenen Fassade der Eltern lauern Scheinheiligkeit und Heuchelei.
Die Zwillinge sind verlogen und gemein und Caleb hegt inzestuöses Begehren nach seiner Schwester. Das junge Mädchen, dem in der misogynen Ära nur die Rolle der hysterischen Anklägerin oder Angeklagten bleiben, öffnet ihre Sinne der Verderbtheit um sie herum und erlangt dadurch die Macht, zumindest für sich selbst etwas zu ändern. Doch dies geschieht in einem der besten Filme des Genres auf eine Art, die der christlichen Rechten sicher wenig gefällt.
Regie und Drehbuch: Robert Eggers, Darsteller: Anya Taylor-Joy, Ralph Ineson, Kate Dickie, Harvey Scrimshaw, Filmlänge: 92 Minuten, Kinostart: K.A., thewitch-movie.com