Shelley
„Es braucht mehr, um mir Angst zu machen“, sagt die junge Elena in dem dänischen Horrorstreifen Shelley. Anscheinend finden nicht einmal die Protagonisten die Geschehnisse um sie herum sonderlich aufregend. Dabei macht Ali Abbasi in seinem Spielfilmdebüt alles brav nach altbewährtem Schema, um dem Publikum Schauer über den Rücken zu jagen.
Der Schauplatz ist der tiefe, dunkle Wald. Dorthin fährt Louise (Ellen Dorrit Petersen) mit ihrem zukünftigen Dienstmädchen Elena (Cosmina Stratan). Das aus Rumänien stammende junge Mädchen ist, wie es eine Nebenfigur beschreibt, „zart gebaut“. Louise wiederum ist laut ihrem Ehemann Kaspar (Peter Christoffersen) durch eine mysteriöse Operation geschwächt. Das einsame Häuschen an einem von Nebelschwaden überzogenen See verfügt weder über fließendes Wasser, noch Strom. Ein Deatil, das Elenas Arbeitgeber offenbar in der Stellenbeschreibung vergessen haben. Trotzdem entwickelt sich eine freundschaftliche Beziehung zwischen Elena und Louise, die plötzlich wieder bei Kräften ist. Da sie sich sehnlichst ein Kind wünscht, aber nach mehren Fehlgeburten unfruchtbar ist, bittet sie Elena als Leihmutter ein Kind auszutragen. Die alleinerziehende Elena willigt ein, um sich und ihren kleinen Sohn finanziell abzusichern. Nach dem Eingriff kümmert sich das Paar liebevoll um sie, doch die Schwangerschaft wird wie zu erwarten der Horror. Elena bekommt alle klassischen Symptome von jemandem, der den Antichrist oder schlimmeres austrägt: Alpträume, Haarausfall, Juckreiz, unerklärliche Schmerzen und Gelüste nach frischem Hühnerblut. Aber wie jeder, der auch nur ab und zu einen Horrorfilm guckt, weiß, glaubt ihr natürlich niemand, dass das Baby an allem Schuld ist.
Anders als in Schwangerschafts-Horror üblich, gibt es in Shelley keine Teufelsanbetung oder satanische Rituale, obwohl mehrere Szenen darauf hinarbeiten. Louise bekommt Besuche von einem seltsamen Esoterik-Heiler (Björn Andrésen), macht vage Bemerkungen darüber, wie alt sie tatsächlich ist, und bekocht Elena mit im eigenen Garten angebauten Gemüse. Doch spätestens, wenn Elena apathisch durch die Nacht wandert und unkontrollierte Aggressionen gegen das Baby zeigt, verabschieden sich die Protagonisten und die Handlung von jeder Logik. Das düstere Setting und Sturla Brandth Grøvlen Kamerabilder liefern die passende Atomsphäre für einen guten Horrorfilm, aber Regisseur Abbasi keinen passenden Plot. Der Titel ist eine Anspielung auf Mary Wollstonecraft Shelly, deren Meisterwerk Frankenstein den Film angeblich inspirierte. Die Bezüge sind jedoch so vage, dass Shelley ebenso gut „Austen“ oder „Christie“ heißen könnte. Mary Shellys Werk ist nicht zuletzt eine Kritik an einem selbstherrlichen männlichen Schöpfungswillen, der die Verantwortung für sein Tun ablehnt. Entweder hat Abbasi den Roman nie gelesen oder der Filmtitel ist einfach nur ein Lockmittel für Fans von gutem klassischem Gothic Horror.
Das Resultat ist eine krude Angstphantasie: wenn Frauen gemeinsam über ihre Zeugungsfähigkeit entscheiden, setzen sie das absolute Böse in die Welt. Am Ende graust es einen bei den Versatzstücken von Rosemary’s Baby und The Omen und dem ganzen pseudo-psychologischen Unsinn tatsächlich. Allerdings nur beim Gedanken, dass Mary Wollstonecraft sich im Grab umdrehen würde.
Regie: Ali Abbasi, Drehbuch: Ali Abbasi, Maren Louise Käehne, Darsteller: Ellen Dorrit Petersen, Björn Andrésen, Cosmina Stratan, Kenneth M. Christensen, Filmlänge: 92 Minuten, gezeigt auf der Berlinale 2016