Need for Speed
Zwölf Monate Kreativpause hat Electronic Arts seiner mittlerweile 21 Jahre alten Rennspielserie spendiert, nun kehrt sie mit Need for Speed als Reboot zurück. Die Entwickler des eher mäßig rezipierten Vorgängers zeichnen auch hier verantwortlich. Ein neuer Fokus wurde gesetzt: Waren in Need for Speed Rivals von 2013 noch die Auseinandersetzungen zwischen Streetracer und Ordnungshüter zentraler Bestandteil der Spielmechanik, stellen die Entwickler von Ghost Games nun die Tuning-Szene in den Vordergrund. Was sich für Freunde purer, schneller und actionreicher Straßenrennen zunächst vielleicht noch als belangloser Ballast darzustellen vermag, kann dank einiger Limitationen im Spieldesign aber doch kurzfristige Begeisterung hervorrufen.
Zunächst die vielleicht schockierendste aller Nachrichten: Need for Speed beinhaltet eine durchgehende Storyline mit mehreren Charakteren, die noch dazu von tatsächlichen Schauspielern erzählt wird. Richtig gelesen, Live-Action-Videos sind fixer Bestandteil in diesem Ableger der Rennspielserie. Illustre Figuren mit prototypischer Namensgebung und stereotypen Eigenheiten (u.a. die toughe Automechanikerin, der anfangs skeptische aber gutherzige Outlaw) werden mit in der Szene bekannten Größen wie Porsche-Fanatiker Magnus Walker, Rallyfahrer Ken Block sowie Lamborghini-Enthusiast Shinichi Morohoshi in einer – kaum verwunderlich – belanglosen (man möchte fast sagen: wenig rasanten) Rahmenhandlung rund um Street-Credibility zusammengebracht.
Und so gilt es nach (nur teils überspringbaren) Videosequenzen mit Dialogen in Bars, Garagen und Clubs seinen Mann zu stehen und mithilfe modifizierter Fahrzeuge diverse Events zu absolvieren, aka Business as usual. Diese sind in einer fiktiven Nachbildung von Los Angeles namens Ventura Bay verstreut, gespielt wird in Need for Speed in einer recht großen, aber doch überschaubaren Open-World. Dies hat natürlich bekannte Vor- und Nachteile: Zum einen ist jede Strecke so immer für den Spieler befahrbar und damit in Sachen Abschätzung von Kurven und Straßenverlauf besser zu erlernen, zum anderen passiert es jedoch des öfteren, das einem ein anderes Rennen als Gegenverkehr störenderweise in den Weg kommt – was natürlich in kritischen Momenten gewaltig nerven kann. Glücklicherweise können die diversen weit verstreuten Events aber auch via Schnellauswahl geladen werden, was auf den oft verlassenen und eintönigen Straßen vorteilhaft in Hinsicht auf Monotonie erscheint.
Die Events sind in unterschiedliche Bereiche aufgeteilt, die das Können des Spielers in verschiedenen Aspekten auf die Probe stellen (sollen). Fünf Storylines bilden dabei mehr oder minder fünf spezielle Arten von Herausforderungen: Speed, Style, Crew, Build und Outlaw. Speed- und einige Build- sowie Outlaw-Events sind dabei klassische A nach B Rennen, bei dem es gilt, seine Kontrahenten auszustechen und als erster durchs Ziel zu fahren. Abwechslung wird in Form von neu freizuschaltenden Autoteilen oder der Polizei als zusätzliche Verfolger beigemischt. Crew- und Style-Herausforderungen nehmen sich der Drift-Mechanik von Need for Speed an: Lang gezogenes und ununterbrochenes Schlittern auf dem Asphalt wird mit Punkten bzw. Reputation sowie kleineren Geldbeträgen belohnt, auch das Fahren auf der falschen Spur und im Windschatten, schnelle Beschleunigung, das Halten der Höchstgeschwindigkeit und knappe Überhol- bzw. Ausweichmanöver erhöhen die Punktezahl.
Während vor allem die Rennen, die sowohl eine hohe Summe an Reputation wie auch den erste Platz verlangen, dank der Herausforderung an das eigene Können am unterhaltsamsten sind, erweisen sich andere wie der sogenannte Drift-Train, bei dem Punkte nur in einem gewissen Abstand zu einem KI-gesteuerten Mitfahrer gezählt werden, einfach miserabel. Grund dafür ist der aus Rennspielen bekannte Gummiband-Effekt, der die KI-Fahrzeuge am Spieler halten soll und auch die Tatsache, das schlicht zu wenig Platz fürs gleichzeitige Driften auf engen Straßenteilen vorhanden ist. Das auch die künstliche Intelligenz der Need for Speed-Fahrer gröbere Aussetzer hat und somit auch unfaire Momente aufkommen, trägt zusätzlich nicht unbedingt zum Spielspaß bei. Die gleiche KI versagt dann gleich vollständig bei den Gesetzeshütern: Niemals kommt das Gefühl einer tatsächlichen Verfolgungsjagd auf, zu langsam und zu harmlos wird hier agiert, Straßensperren werden zögerlich und viel zu weit verstreut sowie leicht umfahrbar aufgebaut. Da ist man seitens dieser Videospielserie ganz anderes gewohnt.
Mit zunehmender Spieldauer offenbart Need for Speed sein wirklich hässliches Gesicht: Wer im realen Leben schon von Dauerbeschallung via Smartphone genug hat, dem wird der Titel sicherlich die letzten Nerven kosten. Events werden via Telefonanrufe der eigenen Crew „freigeschalten“ – und zwar zu jedem Zeitpunkt. Andauernde Vibrationsgeräusche des Handys und belangloses Bla-Bla der gesamten Figurenriege während Hochgeschwindigkeitsrennen – der Wahnsinn des verantwortlichen Designers kann nur von demjenigen übertroffen werden, der dies dann tatsächlich für gut befunden und in das Spiel integriert hat. Noch weniger Verständnis kann man für den Online-Zwang des Titels aufbringen: Ohne Anbindung kein Spielen möglich, also bei jedem Server-Service oder dergleichem erfolgt automatisch Sendepause.
Bei all der Kritik kann Need for Speed jedoch auch in einigen Punkten überzeugen: So gefällt etwa die detailreiche Optik des Titels und auch der Soundtrack trägt zu netten Momenten während spannender Rennen bei. Die Drift-Mechanik wurde gut in das Gameplay integriert, auch das Tuning der überschaubaren, aber feinen Fahrzeugauswahl (von einem Volvo und GTI bis hin zu US-Musclecars und italienischen Sportwagen) motiviert zu längerer Spielzeit. Die Gestaltung des Straßennetzes von Ventura Bay bietet genügend breite Highways, enge Innenstadtbereiche und langgezogene Serpentinen für die schier nicht enden wollende Anzahl von Events – schade nur, dass in Sachen Tageszeit der Rennen auf beständige Abenddämmerung oder schlicht durchgehende Nacht gesetzt wurde und auch keine waghalsigen Abkürzungen oder Sprünge (wie in den Nicht-Open-World-Titeln zuvor) vorzufinden waren. Ebenfalls (und traurigerweise) eine Erwähnung wert: Trotz umfangreicher Modifikationsmöglichkeiten an den Fahrzeugen – von Farben zu Mustern, Felgen, Spoilern, Außenspiegeln, Auspuffanlagen und dergleichen mehr – wurden keine Micro-Transaktionen in diesem EA-Titel eingefügt.
Der Reboot der Serie ist großteils misslungen: Dank des kaum erklärbaren Online-Zwangs, den bemitleidenswerten Gesetzeshütern, ständig störendem Handy-Gebimmel und dem untragbaren Gummiband-Effekt (Update: Die Entwickler nehmen sich dieser Kritik in einem kostenfreien Update Ende November an) werden die gut funktionierenden Elemente von Need for Speed weit in den Schatten gestellt. Fans der Tuning-Szene werden dank der diversen Modifikationen und Einstellungsmöglichkeiten sicher etwas Freude am Titel finden, auch bei der einen oder anderen Verfolgungsjagd auf nächtlichen Straßen stellt sich manchmal der Geschwindigkeitsrausch ein, den man sich von der Serie erwartet. Langfristig bietet Need for Speed aber schlicht zu wenig Spielspaß sowie Abwechslung – und bleibt so aufgrund fehlender Alleinstellungsmerkmale einfach zu belanglos, um den Spieler an sich zu binden. Der nächste Reboot kann kommen.
Mehr Bilder und Screenshots sind übrigens auf unserer Flickr-Seite zu finden.
Plattform: PS4 (Version getestet), Xbox One, PC, Spieler: 1, (online), Altersfreigabe (PEGI): 12, Release: 05.11.2015, 2016 (PC), needforspeed.com