Excess Flesh
Das /slash Festival packte die ganz großen Geschütze aus und zeigte mit Excess Flesh einen psychologisch wirksamen Schocker, der sich wie oft im Horrorgenre dem menschlichen Körper annimmt, jedoch mit ungewöhnlichem Zugang.
So dreht sich die Geschichte um zwei junge Frauen mit diametral unterschiedlichen Persönlichkeiten, die sich eine kleine Wohnung in Los Angeles teilen. Die schüchterne Jill (Bethany Orr) hat Probleme sowohl mit ihrem Selbst- wie auch Körperbewusstsein und wirft sich vor allem wegen ihren vermeintlichen Gewichtsproblemen in Isolation und eine zwanghafte Nahrungsaufnahme, die durch abwechselnde Fress- und Kotzphasen gekennzeichnet ist. Ihre Mitbewohnerin Jennifer (Mary Loveless) hingegen ist eine unkontrollierte Partynatur, die, wenn sie nicht die Nächte in Clubs ausbleibt, sich auch Zuhause ständig mit Gästen oder abwechselnden Liebhabern die Zeit vertreibt. Bei ihren Liebschaften hat sie ebenfalls Kontakt zu Rob (Wes McGee), in den Jill jedoch ebenfalls etwas verknallt ist, was zusätzlich zu Jennifers allgemeiner Rücksichtslosigkeit gegenüber ihrer Wohnungspartnerin zu Zerwürfnissen und Spannungen führt. Jill erträgt jedoch die Kritik an ihrem Gewicht und die Belagerungen durch Fremde nicht lange und ihr platzt der Kragen. Sie nimmt Jennifer gefangen und lässt sie ihre eigene Rücksichtslosigkeit am eigenen Leibe spüren.
Zuerst die schönen Seiten: Schauspielerisch bietet der Film etwas übertriebene, aber durchgehend einfühlsame Darbietungen. Übertrieben deshalb, weil die Charaktere sich etwas zu stark in Klischees einfügen, diese jedoch mit Bravour ausfüllen. Vor allem wenn Bethany Orr auf der Leinwand erscheint, kann man kaum anders, als mit ihr zu fühlen. Sei es, wenn sie sich im Selbsthass ohrfeigt, Essen in sich hineinschaufelt oder es gewaltsam wieder erbricht oder aber auch in ihren schüchternen Momenten, wenn sie mit Rob interagiert, aber das Flirten doch nicht wirklich auf die Reihe bekommt. Sie ist durchgehend süß und tragisch, das gänzliche Gegenteil von Mary Loveless.
Diese erscheint zunächst wie eine Art Karrikatur einer amerikanischen Barbie, auf sich selbst fixiert, rücksichtslos und einfach nur nervtötend. Mit der Zeit, und vor allem in einer Opferrolle, weicht sich diese Präsentation jedoch auf und die Brüche in der Fassade geben Blicke auf einen komplexeren Charakter preis. Die Nebendarsteller, wie der sensible Rob (Wes McGee), Jills alkoholsüchtige Mutter (Jill Jacobson) oder die überfreundliche Nachbarin (Sheresade Poblet) sind auf den Punkt gecastet und schwanken ebenfalls gekonnt zwischen Archetyp und subtileren Performances.
Nun zu den offensichtlich weniger ansehnlichen, aber nicht weniger wichtigen Elementen des Films. Das Essen und dessen wieder Ausspeien sind überstilisiert wiedergegeben, und das mit Methode. In Slow Motion und Nahaufnahme wird jede Fressattacke zu einem Anblick, der mit der Zeit genau so quälend wird wie das Erbrechen. Das Essen wird dabei nicht nur über die langatmigen Bilder, sondern auch durch ein exzellent eingesetztes Sounddesign zu einem für den Zuschauer körperlich spürbaren Erlebnis. Gerahmt wird das ganze über spärlich eingesetzte Musik, komponiert von Jonathan Snapes, der auch schon Starry Eyes (aus dem /slash-Programm des Vorjahres) seine persönliche Note verleihen durfte.
Die Story tritt bei dieser Art von Kino jedoch in den Hintergrund. Die Erzählung selbst definiert sich durch Wiederholungen die den Bildern weiter Kraft geben – auch wird der Aufmerksame den Twist am Ende schon länger kommen sehen. So ist Excess Flesh ein relativ bemerkenswerter Film über Bulimie und den Bezug zum eigenen Körper, der sehr direkt agiert, und einfühlsamere Kinogänger durchaus schockieren kann. Für den hartgesottenen Horrorfan könnte er jedoch eventuell sogar noch konsequenter in seiner Ekeloptik sein (In manchen Monty Python-Sketches wurde mehr gekotzt), aber so oder so kommt die Message an – was sicher das Ziel des jungen Regisseurs Patrick Kennelly war.
Regie: Patrick Kennelly, Drehbuch: Patrick Kennelly, Sigrid Gilmer, Darsteller: Bethany Orr, Mary Loveless, Wes McGee, Jill Jacobson, Sheresade Poblet, Filmlänge: 128 Minuten, gezeigt beim /slash Filmfestival 2015, www.excessfleshmovie.com