Colour Haze und Radio Moscow live in der Arena Wien
Zum 5. Mal tourt das Up In Smoke-Roadfestival durch europäische Clubs und garantiert feine Abende im Zeichen des Psychedelic und Heavy Rock. Als Pflichtstation durfte auch heuer die Arena Wien nicht fehlen.
Dass sich das Genre hierzulande nicht nur einer steten, sondern wachsenden Beliebtheit erfreut, ist vergangenen Freitag nur allzu deutlich. Erstmals wurde den Desert-Maniacs die große Halle aufgesperrt – das Ergebnis: eine volle Bude mit viel 70ies-Atmosphäre und jeder Menge Stoner-Kids, die in der Referenz-Zeit noch in der kosmischen Nudelsuppe schwammen. Zum Auftakt sorgten Cherry Choke aus England mit ihrem soliden Sound zwischen Garage, Led Zeppelin und klassischem Stoner-Rock für die Ausschüttung erster Endorphine. Der weitere Abend gehörte den gefeierten amerikanischen Heavy-Blues-Slackern Radio Moscow und der Münchner Stoner-Rock-Institution Colour Haze.
Parker Griggs ist ein Erlebnis, noch ehe er mit seinen beiden Radio Moscow-Jungs den ersten Ton anstimmt. Das dünne, in formlosen Strähnen bis zur Hühnerbrust herabhängende Haar wirkt noch armseliger als die kreuz und quer aus dem Gitarrenkopf ragenden Saiten, die beim Stimmen vor seinem Gesicht baumeln. Ein festgezurrter Gürtel hält ihm die Jeans auf den Hüften, über dem T-Shirt trägt er ein Gilet mit Azteken-Muster, das man – wenn überhaupt – vielleicht am ehesten im Sozialmarkt auftreibt. Parker Griggs wirkt wie der schrullige aber nette Typ von nebenan, der den Nachbarskindern in seinem Jugendzimmer Gitarrenunterricht gibt. Und so wird gleich ein sehr mächtiges Heavy-Blues-Ungetüm von der Leine lassen. Sein Band-Mate Billy Ellsworth, von Statur und Ausstrahlung nur minimal imposanter, krault es derweil mit smoothen Bässen an den Eiern. Und sobald es richtig schlechte Laune hat, hetzt es der Dritte im Bunde, Lonnie Blanton, mittels Percussion-Dreschen geradewegs in die selig lächelnde und heiter schunkelnde Stoner-Crowd.
Wer jetzt noch einen Gedanken fassen kann, begreift: Parker Griggs ist eher kein Mittelmaß. Er ist Jimi Hendrix, wiedergeboren in der Gestalt eines weißen Bleichgesichts aus der amerikanischen Provinz. Und nur, weil der zündelnde Jimi einst vor den versammelten Blumenkindern der ersten Stunde über den lodernden Flammen seiner abgefackelten Stratocaster einen Voodoo-Fluch gen Himmel sandte, demzufolge nach ihm kein Größerer mehr kommen solle, geht Parker hin und wieder die ohnehin erstaunlich kratzbürstig-bluesfähige Stimme aus. Das aber ist nicht weiter schlimm. Radio Moscow pendeln bewusst zwischen Trasch und Perfektion, wobei letzteres eindrucksvoll die Überhand gewinnt. Manchmal hört sich das an, wie die Kaisermühlen-Blues-Titelmelodie nach ganz vielen lustigen Tschick. Dann wieder jagt Griggs auf seinem Gitarrenhals mit einem Affenzahn Soli rauf und runter, dass es einem vor roher, bluesiger Power schlicht die Birne durchbrennt.
Die 2007 von The Black Keys-Frontman Dan Auerbach ins Rampenlicht gehievte Band konnte ihren Ruf als Wunderkinder der Szene ähnlich imposant unter Beweis stellen, wie schon bei ihrem letzten Arena-Gig im Vorjahr, und das obwohl sie dieses Mal als Vorgruppe nur eine Stunde Zeit zur Verfügung hatte. Nummern aus dem aktuellen Album Magical Dirt wollten ebenfalls vorgestellt werden. Am Ende bleibt immer nur Staunen. Darüber, woher nur so viel Blues und musikalisches Genie in drei Allerwelts-Typen aus einem Provinznest in Iowa steckt. Es ist ein Wunder. Welche Götter auch immer sich hier einen Scherz erlaubten: Thank you for the music!
Diese Musik ist eigentlich zu groß, um sie zu beschreiben. Und doch beginnt alles ganz armselig. Im Repertoire von Color Haze gibt es Töne, für die man sich im Prinzip geniert. Wenn Sänger und Gitarrist Stefan Koglek sein pseudo-jazziges Düdeldüdeldü anstimmt, hört sich das an wie die musikalische Untermalung eines Schulvideos aus den 70er Jahren, und er sieht dabei aus, wie ein in die Jahre gekommener Jungscharleiter mit seiner Öko-Klampfe. Das ist natürlich Jammern auf hohem Niveau. Wer Colour Haze kennt, weiß, dass sich während solcher Flausen bereits Mächtiges zusammenbraut. Peace, Brothers & Sisters! Schon bricht der erste Magma-heiße Stromschwall durch die Wolken, fließt verzerrt und jaulend durch das ausgetrocknete Flussbett, das sich von der Bühne bis zur Bar quer über die Halle erstreckt, und wirbelt dabei jenen Staub auf, den an diesem Abend alle fressen wollen, schmeckt er doch nach einer klaren Verheißung: Das hier ist die Wüste. Und die Wüste lebt!
Vor dem kreisrunden, ewig rotierenden Hintergrund eines mikroskopisch vergrößerten Bakterien-Tümpels baut sich die hypnotische Soundkulisse auf. Man kann nicht anders, als in dieses bizarre Schauspiel aus Leukozyten, Plasmodien, sich überrollender und verschlingender Formen hineinzuschauen. Ist das Timothy Learys Drogentest? Oder sind das die Barbapapas im Reich des bösen Bluts?
Während man ins Mysterium des Lebens starrt und den sphärischen Sound in seinen Körper eindringen lässt, wird einem klar: Einem Colour Haze-Konzert zu lauschen ist ein bisschen so, als würde man gegen einen Bienenstock im Garten pinkeln. Zuerst schwirren einem ein paar honigsüße Bienen um den Schädel, dann kommt die Gefolgschaft nach. Der Bienenstock bekommt Risse, größere Bienen strömen daraus ins Freie, dann die Bienenkönigin, dann die Hornissen – und urplötzlich bricht das ganze Ding auseinander und unter die rasenden Hornissen-Schwärme mischen sich brummige Hummeln, Schwärme brummiger Hummeln – eher keine gutgelaunten, sondern solche, die einst Black Sabbath und später Kyuss im Hintern hatten (und die heute Samsara Blues Experiment nachzüchten ) und all das prasselt – gerade hat man noch rechtzeitig den Kopf eingezogen – in die pilzförmigen Trichter mächtiger paradiesischer Gewächse, deren Halme wiederum direkt in den Kosmos münden, wo die geflügelte Ladung in den Space-Orbit des ewigen Sommers der Liebe eintritt.
Und wieder Staunen. Wie kommt es, fragt man sich, dass eine der zweifellos größten Bands der internationalen Stoner-Rock-Szene ausgerechnet aus Bayern stammt? München ist eben nicht nur die Stadt der Weißwürste und der Blasmusik, es ist auch die Stadt der Eisbach-Surfer, der Nacktbader im Englischen Garten, die Stadt Rainer Werner Fassbinders und des frühen Krautrock (Amon Düül II). All das geht im Sound von Colour Haze auf wie die Sonne am Morgen, oder ein Atompilz am gar nicht fernen Horizont. Man sah an diesem Abend die Band mit dem wohl ureigensten Sound und der stärksten Sogwirkung im Stoner-Rock-Zirkus. Kaum ein anderer Akt beherrscht das Spiel des Ab- und wieder Anschwellens von Klang-Energie derart virtuos wie Colour Haze. Dabei scheuen sich die drei Münchner auch nicht vor lyrischen bis jazzigen Nuancen – und kippen dann wieder in eine Heavyness, die ihres gleichen sucht.
So steigt man zu Beginn in eine bunte Liliputbahn, der irgendwo unterwegs die Bremsen durchglühen und die sich daraufhin in einen mythischen Feuerwagen, oder eher in ein US-Muscle-Car mit Flammenlackierung, verwandelt, das rumpelnd und dröhnend über einen Wüsten-Highway brettert während sich seitlich bluesige Windhosen aufschwingen, ohne dass man weiß, wohin es braust – direkt in den Schlund der Hölle, oder ins ewige Nirwana aller vergangener und zukünftiger Blumenkinder.