Upstream Color
Großes Kino mit ebenso großem Mut zur Irritation und Abweichung vom Mainstream ist selten. Upstream Color ist das rare Beispiel eines Film, der berührt, verstört und verwirrt, ohne sich dabei zu erklären.
Mit einer rauschhaften Bild- und Soundwelt entführt der Film vom ersten bis zum letzten Moment in Dimensionen einer Expressivität, die man nie völlig begreifen kann, deren Reduktion auf eine reine sinnliche Ebene aber ebenso zu kurz greifen würde. Berauschung bzw. Betäubung und sinnlich-kognitive Erfahrungen spielen in Upstream Color eine große Rolle, der damit beginnt, dass ein Mann (Thiago Martins) aus den Wurzeln einer blauen Orchidee Parasiten erntet, die er benutzt, um die junge Frau Kris (Amy Seimetz) in einen Zustand willenloser Lenkbarkeit zu versetzen und sie ihrer ganzen Ersparnisse zu berauben.
Hilflos zurückgelassen, versucht sie, sich den ihr eingeflößten Wurm aus dem Körper zu schneiden, scheitert aber und begibt sich im Delirium zu einer Schweinefarm. Der Farmer (Andrew Sensenig), der die geheimnisvollen Würmer mittels Sound Samples aus dem Boden lockt, entfernt den Parasiten aus Kris‘ Körper, um ihn einem Schwein einzupflanzen. Kris erwacht schließlich ohne jede Erinnerung und steht nicht nur vor den Ruinen ihrer Existenz, sondern wird auch immer wieder von seltsamen Visionen geplagt und scheint mit dem Schwein nun metaphysisch verbunden zu sein. Sie lernt Jeff (Shane Carruth) kennen, mit dem sie sich ebenfalls seltsam verbunden fühlt und der das Gleiche wie sie durchgemacht zu haben scheint. Gemeinsam stemmt sich das junge Paar gegen die unsichtbaren Kräfte, die in ihr Leben eingegriffen haben.
Berauschung, Betäubung, Kontrollverlust und Selbstbestimmung spielen in Upstream Color eine große Rolle. Es wäre aber zu kurz gegriffen, den Film auf eine reine Fabel der menschlichen Selbstbestimmung und des lustvollen Kontrollverlusts durch die Kraft der Liebe oder der erzwungenen Kontrolllosigkeit durch äußere Einflüsse zu reduzieren. Shane Carruth, der beim Film sowohl Regie führte, das Drehbuch lieferte, als auch als männlicher Hauptdarsteller fungierte, hat mit Upstream Color vielmehr einen Film geschaffen, der auf vielen Ebenen funktioniert und deutbar ist, sich dennoch einer reinen Funktionalität und einer dezidierten Interpretation wohltuend entzieht.
Upstream Color ist dementsprechend ein Film, den man auf sich wirken lassen und auf den man sich möglichst vorbehaltlos einlassen muss. Der rote Faden sowie die Lösung des Mysteriums bleiben immer gerade ausser Reichweite und die oft collagenhafte Aneinanderreihung von Szenen und Sequenzen ist für das Betrachterauge, das stringente und bis ins letzte Detail aufgeklärte Handlungsverläufe gewohnt ist, mitunter befremdlich. Dieser Eindruck von Fremdheit verliert sich allerdings rasch, entfaltet der Film doch sehr schnell eine atmosphärische Sogwirkung, der man sich nur schwer entziehen kann.
Stellenweise kann es dann schon passieren, dass man sich mehr Bezugspunkte wünscht, an denen man sich orientieren könnte oder dass man mit der Flut an Emotionen und Eindrücken schlichtweg überfordert ist. Der Film ist auch sicherlich nicht zur entspannten Berieselung oder zum einfachen Abschalten nach einem langen Arbeitstag geeignet, sondern fordert dem Publikum einiges an Offenheit ab und an Bereitschaft, sich auf Ungewohntes einzulassen. Für jene, die das tun, wird sich die Reise aber lohnen, verweben sich doch selten universelle Themen und Motive zu einem derart vielschichtigen Wirrwar aus Stimmungen, Ahnungen und Gewissheiten. Und man bleibt staunend vor diesem filmischen Kunstwerk stehen, um es zu betrachten und wird davon noch lange begleitet, wenn man selbst schon längst wieder weitergegangen ist.
Regie & Drehbuch: Shane Carruth, Darsteller: Amy Seimetz, Shane Carruth, Andrew Sensenig, Thiago Martins, Laufzeit: 96 Minuten, läuft auf der Viennale V‘ 13 am 26.10. (21:00) und am 06.11. (23:30), erbpfilm.com/film/upstreamcolor