Augen der Angst – Carnival of Souls im Filmmuseum (Teil 1)
Nein, hier ist nicht die Rede von Michael Powells Peeping Tom, diesem filmischen Faszinosum, mit dem Karlheinz Böhm 1960 sein Image als Kaiser der Herzen und seine Schauspielkarriere beendete. Auch wenn er als Inbegriff dessen stehen könnte, was das Filmmuseum in seinem Horrorfilm-Programm „Carnival of Souls“ (zur Vorschau) feiert: das Einfangen von Angst und Schrecken mit der Kamera.
Angst, Schrecken, Ekel, Bestürzung, Wut, Verzweiflung, Besessenheit … das breite Spektrum der Empfindung von Horror zeichnet sich auf den Gesichtern von Opfern und Tätern ab. Analog zu Peeping Tom sucht das Genre des Horrorfilms nach der perfekten Einstellung, also nach dem Bild, das es vermag, die Zuschauer Angst und Schrecken nicht nur sehen, sondern auch fühlen zu lassen. Neben Inszenierung und Ton ist es ein Spiel von Gesichtsausdruck und Körpersprache, das Emotionen an die Zuschauer weiterleitet. Es folgen drei Beispiele aus dem Filmmuseum.
Je jünger der Film, desto wichtiger sind Mimik und Gestik, waren sie doch die Ur-Sprache der Schauspieler, als der Film noch stumm war. Das Cabinet des Dr. Caligari – 1920 nach der Regie von Robert Wiene und dem genialen Drehbuch von Carl Mayer und Hans Janowitz uraufgeführt – gilt als Meisterwerk expressionistischer Filmkunst. Noch stärker als der Stummfilm ohnehin darauf angewiesen war, sind hier Mimik und Gestik Ausdruck von Empfindungen. Künstlerisch zugespitzt erscheinen die durch Schminke hervorgehobenen und vergrößerten Augen, die verzerrten Gesichter, die gereckten Arme und gekrümmten Finger wie Karikaturen des Seelenlebens, das nach außen gekehrt ist.
Die Augen signalisieren den Schrecken, der empfunden wird, wie auch dessen Quelle. Sie bilden den Durchgang zum Unheimlichen, wie in der Szene, in der Dr. Caligari (Werner Krauß) den Somnambulisten Cesare (Conrad Veidt) erweckt. Die Kamera fokussiert ein starres Gesicht, langsam beginnen Augenlider und Mundwinkel zu zucken, bis Cesare die Augen nicht nur aufmacht, sondern aufreißt: Das Grauen erwacht, nicht jedoch Cesare. Der Schlafwandler ist unheimlich (immerhin schläft er seit 23 Jahren), aber er ist kein Monster, sondern Opfer, eine willenlose Puppe (!), dessen Spieler böse Machenschaften verfolgt – oder auch nicht, denn der Film hält Wendungen bereit, die in einen Bereich jenseits von Gut und Böse führen.
Aber was können die Augen, der Spiegel der Seele, in diesem Seelenkarnival leisten, wenn sie wie in Les Yeux sans visage (fast) alleine sprechen müssen? Georges Franjus 1960 erschienener Film erzählt voll Poesie von Christiane (Edith Scob), einer jungen Frau, deren Gesicht seit einem Autounfall entstellt ist und die seitdem eine Maske trägt. Dr. Génessier (Pierre Brasseur), ihr Vater, war für den Unfall verantwortlich und macht nun gemeinsam mit seiner Assistentin Louise (Alida Valli) Versuche, seiner Tochter das Gesicht einer anderen Frau zu transplantieren. Nachdem die Frau stirbt, suchen er und seine Gehilfin nach weiteren Opfern.
In der ersten Einstellung, in der wir Christiane sehen, verbirgt sie ihr Gesicht. Wir werden es und seine Entstellung nur einmal verschwommen sehen. Die Maske ist perfekt, unheimlich perfekt und verleiht Christianes Gesicht etwas Puppenhaftes, das sich auch in ihrem Gewand und ihren Bewegungen findet. Ihre großen, traurigen Augen blicken verängstigt und flehend, als wären auch sie hinter der Maske gefangen. Ein verstörendes Bild: Lebendige Augen in einem Puppengesicht! Schönheit und Anmut liegen darin, und etwas Gruseliges. Obwohl Opfer, ist Christiane ein Monster – ihr Anblick löst den Klassiker aller Schreckensgesten aus: weit aufgerissene Augen und einen im Schrei geöffneten Mund.
Diese Reaktion, bewirkt auch Cesare, doch während es sein Wesen ist, das Angst einflößt, ist es Christianes Aussehen, das schockiert. Die Irritation wird noch verstärkt, als Christiane nach dem Transplantationsversuch ohne Maske zu sehen ist und ihr Gesicht ein ebenso ebenmäßiges Erscheinungsbild und dieselben angstvollen Augen zeigt wie zuvor. Doch wie Christiane die Maske nie tragen wollte, stößt ihr Körper das fremde Gesicht ab. Wir sehen den Zerfallsprozess als wissenschaftliche Dokumentation. Die Zerstörung des perfekten Gesichts, in dem Christianes Augen die immer gleichen bleiben.
Anders und doch ähnlich verhält es sich in Tokaido Yotsuya Kaidan (1959) von Nobuo Nakagawa, einer Verfilmung des gleichnamigen Kabukistücks über eine Frau, die nach ihrer Ermordung als rächende Dämonin wiederkehrt. Iemon (Shigeru Amachi) ist ein mittelloser Samurai, der aus gekränktem Stolz drei Männer ermordet, nachdem einer davon ihm die Hand seiner Tochter Iwa (Katsuko Wakasugi) verweigert hat. Er heiratet Iwa, lebt in Armut mit ihr und ihrem gemeinsamen Sohn, bis sich ihm die Gelegenheit bietet, in ein reiches Haus einzuheiraten und er beschließt, seine Frau umzubringen. Er verabreicht ihr Gift, das sie nicht sogleich tötet, sondern ihr Gesicht mit einer sich ausbreitenden Geschwulst bedeckt. Die ursprünglich schöne Frau wird zum Monster, das darüber hinaus auch sein eigenes Kind tötet.
Die Funktion der Augen ist hier weniger von Bedeutung und wird nicht wie in den anderen Beispielen mit Nahaufnahmen inszeniert. Noch bevor wir Iwas Entstellung selbst sehen, signalisiert uns zuerst der Schrecken auf dem Gesicht eines anderen und dann ihr eigener Schrei beim Blick in den Spiegel, dass ihr Anblick furchtbar (hässlich) sein muss. Wie kaltblütig Iemon ist, wird unter anderem dadurch deutlich, dass seine Reaktion verhaltener ausfällt.
Iwa ist zugleich Opfer und Täterin. Auch Christiane findet sich in dieser zwiespältigen Rolle. Wie kaum ein anderes Genre vermag es der Horrorfilm die Grenze zwischen Opfer und Täter, zwischen Monster und Mensch, zwischen Schönheit und Hässlichkeit zu thematisieren. Augen als Spiegel der Seele halten immer beides bereit, das Erhabene und den Abgrund und wir sehen, dass das größte Grauen nicht in einem Zwischenreich oder Jenseits, sondern als Grausamkeit im Menschen zu finden ist.