The Master
Für die einen ist er ein Scharlatan, für die anderen ein Prophet und Genie: L. Ron Hubbard, der Gründer von Scientology. Das bescherte The Master, dem neuen Film von Paul Thomas Anderson schon im Vorfeld kritische Aufmerksamkeit. Das Ergebnis ist jedoch weit davon entfernt auf Konfrontationskurs zu gehen.
Im Grunde steht eine andere Figur im Mittelpunkt, Freddy (Joaquin Phoenix), ein Matrose, der aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkehrt. Er kommt in ein Amerika, dessen adrette Oberfläche (die er als Kaufhausfotograf ablichtet) so gar nicht mit dem in Einklang zu bringen ist, was sich in ihm abspielt. Zwei Gedanken beherrschen ihn, an selbstgebraute Alkoholika und an Sex. Freddy ist unkontrolliert, aggressiv, unberechenbar. Den Fotografenjob verliert er, weil er ausrastet und mit den Fäusten auf einen Kunden losgeht. Eines Tages besteigt er im Dusel ein Schiff. Dessen Kapitän ist Lancaster Dodd (Philip Seymour Hoffman), ein Selbsthilfe-Guru, der sich von dem wilden Findling fasziniert zeigt und ihn zu seinem Versuchskaninchen erwählt. Er wird der Gruppe um Ehefrau Peggy (Amy Adams), Sohn Val (Jesse Plemons), Tochter Elizabeth (Ambyr Childers) und deren Ehemann Clark (Rami Malek) angeschlossen.
Der Hund hat seinen Herrn gefunden. Wie in einem Reflex, führt Freddy alles unmittelbar aus, was man ihm aufträgt und zahlt verbale Angriffe auf den Master mit handfesten zurück, nicht immer in dessen Einverständnis. Im Gegenzug lebt Freddy sein Versuchskaninchendasein wie ein Automat. Die Gruppe exerziert an ihm das von Lancaster Dodd entwickelte Selbsthilfeprogramm „The Cause“, auch wenn in keinem Augenblick der Eindruck entsteht, dass Freddy Hilfe sucht.
Auf diese ungewöhnliche und rätselhafte Beziehung legt Paul Thomas Anderson den Fokus. Mit Unterstützung des Kameramanns Mihai Malaimare Jr., der in ungewöhnlichen 70mm drehte, kommt er den Figuren sehr nahe und bettet sie – untermalt von der beachtenswerten Filmmusik von Johnny Greenwood – in eine Umgebung, die zwischen landschaftlicher Weite und der Beengtheit der Psyche pendelt. In Nahaufnahmen der Gesichter wird der Gegensatz zwischen Dodd und Freddy wie ein Kontrast zwischen Hell und Dunkel sichtbar, bis sich mit der Zeit Gemeinsamkeiten herauskristallisieren.
Lancaster Dodd ist ein Egomane, der von seinen Gläubigen bedingungslose Gefolgschaft erwartet. Er gibt sich humorvoll, großzügig, weise, verständnisvoll. „You seem so familiar to me“, sagt Dodd zu Freddy bei ihrer ersten Begegnung und es lässt sich erahnen, dass auch Dodd Abgründe bereithält. Sobald Fragen gestellt werden, bricht Jähzorn hervor, der einen Anknüpfungspunkt zu Freddy darstellt, wenngleich er nie handgreiflich wird. Es geht ihm um Kontrolle (der Aggression), das Heraustreten des Menschen aus dem Tierreich.
The Master ist keine Abrechnung mit und auch kein Porträt von Scientology oder dessen Gründer. Es flossen wesentliche Impulse aus Hubbards Biografie ein, doch Macht und Beherrschung sowie der Widerspruch zwischen heiler Welt und innerer Zerrüttung bilden die Leitmotive. Die Darsteller – allen voran Phoenix und Hoffmann – sind schlichtweg grandios. Die wie gestochen wirkenden Bilder, die Konzentration auf die Figuren und die Armut an effektiver Handlung geben dem Film etwas Puristisches, eine seltene poetische Klarheit. Obwohl uns Anderson durch Rückblenden und surrealistische Episoden an die Gedankenwelt Freddys heranführt, verweigert er ebenso wie Dodd Antworten. Am Ende weiß man, was man währenddessen und was man am Anfang wusste: „Perhaps he is past help or insane.“ Ein klein wenig unbefriedigend ist das schon.
Regie und Drehbuch: Paul Thomas Anderson, Darsteller: Joaquin Phoenix, Philip Seymour Hoffman, Amy Adams, Laura Dern, Ambyr Childers, Rami Malek, Filmlänge: 137 Minuten, Kinostart: 22.02.2013, www.themasterfilm.com