Der Fall Wilhelm Reich
Kosmische Orgonenergie. Ein Orgonakkumulator. Ein Cloudbuster. Science Fiction? Nicht so ganz. Es handelt sich um Bestandteile einer Therapieform von Wilhelm Reich, dem kontroversen Psychoanalytiker, Sexualforscher und Soziologen, dessen letzte Lebensjahre nun von Antonin Svoboda verfilmt wurden.
Wilhelm Reich (1897-1957), der zunächst bewunderte und dann verstoßene Schüler Sigmund Freuds, vertrat ein Denken, das psychisches Befinden in Verbindung mit Körperlichkeit, in erster Linie Sexualität betrachtete und behandelte. Der Orgasmus nimmt darin die Schlüsselrolle ein, er setze die Orgonenergie frei, eine kosmische, Leben spendende und regenerierende Energie. Ende der 1920er Jahre trat Reich der Kommunistischen Partei Österreichs, als er 1930 nach Berlin ging, der KPD bei. Er verfasste das erste Werk zur Massenpsychologie des Faschismus (1933) und kritisierte offen die Führung der Sowjetunion, woraufhin er aus der Partei ausgeschlossen wurde. Sein Konflikt mit Freud und die Radikalität seiner Ideen führte auch zum Ausschluss aus der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. Nachdem er vor den Nationalsozialisten zunächst nach Dänemark und dann in die USA geflüchtet war, widmete er sich in seinen letzten Lebensjahren zur Gänze seines Orgon-Konzepts.
Hier beginnt Svobodas Stoff, den der Regisseur zum Teil bereits in der Dokumentation Wer hat Angst vor Wilhelm Reich verarbeitet hat. Er konzentriert sich auf dessen Bemühungen um die Weiterentwicklung und wissenschaftliche Legitimierung der Orgonenergie und setzt sie in Verbindung mit politischen Machenschaften und Intrigen.
In der McCarthy-Ära gerät Wilhelm Reich (Klaus Maria Brandauer) in das Visier der Kommunistenjäger, vertreten durch Dr. Cameron (Gary Lewis). Die Regierung bevorzugt durch ihn Experimente Menschen gefügig zu machen, also zur Entwicklung von menschlichen ‚Kriegswaffen‘ aus psychisch Erkrankten. Nicht Heilung oder Friede, wie Wilhelm Reich sie mit seiner Frau Ilse (Jeanette Hain), seinem Assistenten Paul (Kenny Doughty) und seiner Tochter Eva (Julia Jentsch) suchen. Die Regierung schleust Aurora (Birgit Minichmayr), eine Informantin, in Reichs Labor in Rangeley, Maine ein. Er wird gezwungen seine Orgon-Boxen und seine Schriften zu vernichten. Als sich herausstellt, dass er trotz Gerichtsbeschlusses seine Boxen weiterverwendet, wird er verhaftet.
Svoboda, der auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, zeigt ein äußerst gut gemeintes Bild von Wilhelm Reich. Er erscheint als der Verkannte, Verfolgte und Ausgeschlossene, der in keiner Gesellschaft der Welt einen Platz hat, obwohl er nichts als Gutes bewirkt hat. Er, oder besser sein Orgon-Akkumulator verhilft zu Schwangerschaften, lässt es regnen und kann Mäuse von Krebs heilen. Als Gedankenspiel ist es nicht uninteressant, ein Komplott gegen Reich als Sieg der Kriegsmaschinerie gegen den Weltfrieden darzustellen. Doch im Film wirkt es dennoch etwas eindimensional und beschönigend. Die musikalische Untermalung tut das ihre dazu und ist in ihrem ‚Tonfall‘ zumeist eher störend, denn funktionell unterstützend.
Das internationale schauspielerische Ensemble ist bemerkens- und sehenswert, wenn sie mitunter auch irritierende Standpunkte einnehmen. Klaus Maria Brandauer mimt die besessene Genialität und die Ambivalenz des Doktors mit Zurückhaltung. Es ist eine ungewohnte Darstellung von jemandem, der vielleicht selbst die Grenze zwischen Normalität und Wahn überschritten hat. Seine Kontrahenten, David Rasche als Hills, Gary Lewis als Dr. Cameron oder Markus Schleinzer als Agent Klein, wirken hingegen „krankhaft“ böse. So wirkt Reich zwar stur, aber doch wie ein Opfer.
Eine Stärke des Films zeigt sich auf einer anderen Ebene. Svoboda setzt, mithilfe der Kameraleistung von Martin Gschlacht, Landschaft und Architektur bzw. Raum eindrucksvoll in Szene. Er lässt formal und farblich ästhetische, eigenständige Bilder entstehen – gedreht in Österreich und Spanien, nachdem die ursprüngliche Planung an Originalschauplätzen in den USA zu drehen, an der Produzierbarkeit scheiterte. Die wunderschöne Landschaft am See und die offene Architektur des Hauses stehen im Gegensatz zu den fahlen, kalten Innenräumen von Gericht und Psychiatrie. Das prägt sich ein. Nur was es mit dem Wissenschaftler Reich und seinen Theorien auf sich hat, das weiß man nicht so genau.
Regie und Drehbuch: Antonin Svoboda, Darsteller: Klaus Maria Brandauer, Julia Jentsch, Kenny Doughty, Jeanette Hain, Jamie Sives, Birgit Minichmayr, David Rasche, Laufzeit: 110 Minuten, Kinostart: 28.1.2013