Paradies: Glaube
Was muss ein Mensch tun um ins Paradies zu kommen? Zunächst einmal glauben. Dass man dafür auch leiden muss, zeigt die Protagonistin des zweiten Teils der Paradies-Trilogie, Paradies: Glaube, von Ulrich Seidl…
Seitdem ihr Ehemann querschnittgelähmt ist, flüchtet sich Anna Maria (Maria Hofstätter) in ihren Glauben, den sie auch missionierend als „Wandermuttergottes“ auslebt. Sie geht von Haus zu Haus, von Wohnung zu Wohnung und will vor allem andersgläubige Menschen zum Katholizismus bekehren. Als ihr Ehemann Nabil (Nabil Saleh), ein Moslem, nach längerer Abwesenheit wieder zu ihr zurückkehrt, kommt es zu Auseinandersetzungen, die sich immer mehr zu einem Glaubenskonflikt ausweiten. Anna Maria hat kein Verständnis für dessen Bedürfnisse, sie geht völlig in ihrer religiösen Hingabe zu Jesus auf. Ihr Mann kann mit der Zurückweisung nicht umgehen und fordert die Erfüllung der ehelichen Pflichten, bis er sie gewaltsam zu erzwingen sucht.
Nichts, rein gar nichts Positives ist an Anna Marias Glauben zu erkennen. Ulrich Seidls Blick ist schonungslos, wie gewohnt. Er zeigt eine religiöse Fanatikerin, deren dogmatische Haltung ihr kaum noch menschliche, sondern vielmehr mechanische Züge verleiht. Freude an ihren Tätigkeiten ist in keinem Moment spür- oder sichtbar. Verbissen widmet sich Anna Maria Selbstgeißelung, Gebet und Missionierung. Die christliche Tugend der Nächstenliebe fehlt ihr nicht nur im Umgang mit ihrem Mann, sondern auch mit den Menschen, die sie aufsucht. Hilfe in Form von Verständnis oder Anteilnahme kann sie nicht bieten, weder dem in wilder Ehe lebenden Paar, noch der illegalen Prostituierten (Natalija Baranova). Der Speerspitze Gottes, wie sich die MitstreiterInnen um Anna Maria nennen, geht es auch mehr um das Seelenheil im Jenseits.
Als Anna Marias Paradies von der Rückkehr ihres Mannes gestört wird, ist es zunächst nicht der Glaube, der zwischen den Eheleuten steht. Es ist eine Beziehung, in der man sich auseinandergelebt und sich nichts mehr zu sagen hat. Erst durch Anna Marias Ablehnung tut sich die religiöse Kluft auf. Der Muslim beschimpft seine Frau als Hure, wirft ihr vor, sie betrüge ihn, womit er gewissermaßen Recht hat. Die Ehe mit ihrem Mann hat Anna Maria aufgegeben, während sie ihre Liebe zu Jesus auch körperlich vollzieht. In ihm kulminieren ihre Sehnsucht und ihr Begehren.
Mit Paradies: Glaube gelingt Seidl erneut ein Portrait, das weder bitterböse noch abgrundtief deprimierend ist. Die Figuren werden in ihrer Widersprüchlichkeit und Ausweglosigkeit mit sympathischer Aufmerksamkeit, aber auch entblößender Tiefe verfolgt. Nichtsdestotrotz erlauben humorvolle und bizarre Situationen zu lachen. Das Aufeinandertreffen von Anna Maria und Herrn Rupnik, dem Protagonisten aus Seidls Dokumentation Der Busenfreund, ist einfach göttlich! Dass sich empfindsame Gemüter durch den Film angegriffen fühlen könnten, ist seidlgemäß nicht ausgeschlossen. Der Filmemacher geht mit dem Publikum nicht zimperlich um, begnügt sich nicht mit Andeutungen. Eine Szene bricht nicht ab, sobald sich Verstehen einstellt, sie hält an, wird beinahe exerziert, reizt, bis sich eine Reaktion aufbaut. Dann haben sich die Bilder eingebrannt, unwiderruflich.
Den Lorbeerkranz (in Form eines an einen Heiligenschein gemahnenden Haarknotens) trägt Maria Hofstätter, die eine verehrungswürdige Darstellung bietet. Authentisch, stark und überzeugend gibt sie die intensive Rolle, die auch körperlich einiges von ihr abverlangte. Ein Kniefall vor Hofstätters Leistung. Auf dem Weg in Seidls Paradies ziehen wir somit Zwischenbilanz: Liebe tut weh, Glaube tut weh. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.
Regie: Ulrich Seidl, Drehbuch: Ulrich Seidl, Veronika Franz, Darsteller: Maria Hofstätter, Nabil Saleh, Natalia Baranova, Rene Rupnik, Laufzeit: 113 Minuten, Kinostart: 11.01.2013