Paradies: Liebe
Sex für Geld. Prostitution versteht sich als eines der ältesten Gewerbe der Welt. Dass es im Urlaub floriert, ist bekannt, dass es auch Frauen in Anspruch nehmen, weniger. Ulrich Seidl interessieren in seiner Paradies-Trilogie aber gerade die Frauen.
Paradies: Liebe bildet den Auftakt zur Trilogie, die um drei Frauen einer Familie angelegt ist. Im zweiten Teil werden wir auf eine Liebhaberin Jesu und im dritten auf eine Teenagerin im Diät-Camp stoßen. Den Beginn macht eine Sextouristin in Kenia. Teresa (Margarethe Tiesel) ist eine fünfzigjährige Frau, die mit ihrer Teenager-Tochter, dem Älterwerden und Übergewicht zu kämpfen hat. Auf Empfehlung einer Freundin (Inge Maux) versucht sie sich als Sextouristin in Kenia. Sie ist erfahrene Sugarmama, wie die weißen Frauen genannt werden, von denen sich die Beachboys finanzieren lassen. Teresa allerdings tut sich schwer mit dem käuflichen Sex. Sie sucht Liebe und findet sie in Munga (Peter Kazungu), dessen Interesse sich jedoch bald offen auf ihr Geld verlagert. Teresa ist enttäuscht und beginnt das Sugarmama-Dasein zu konsumieren.
„Leben, so wie es ist“, ist man hingerissen zu sagen, nachdem man Seidls Film(e) gesehen hat. Oder „ungeschminkt“, wie es der Regisseur als Schönheitsideal der in seinen Filmen dargestellten Menschen formuliert. Tatsächlich berührt das, was wir sehen, in einer eher aufdringlichen Art und Weise, der man sich nicht entziehen kann, als wäre es nicht gespielt, sondern ein Einblick in private und intime Bereiche eines Lebens. Das Publikum ist Voyeur, ob es will oder nicht.
Das ist in Paradies: Liebe zu einem guten Teil Margarethe Tiesel zuzurechnen, deren Teresa von Anfang an ohne (seelisches) Feigenblatt anlegt ist. Nicht künstlich, sondern realistisch erscheint die Welt, in der sie sich bewegt und wie sie darauf reagiert. Eine bemerkenswerte Leistung, umso mehr, wenn man bedenkt, dass Tiesel nie ein Drehbuch zu sehen bekam und die Dialoge improvisieren musste. Den Dialogen verleiht das eine Authentizität, die nicht frei von peinlichen Momenten ist, dadurch aber an Glaubwürdigkeit gewinnt. Wie Rollenspiel im Alltag, wenn es gilt, sich in eine neue oder unangenehme Situation einzufinden.
Die Ulrich-Seidl-Methode nennt sich das. Sie äußert sich nicht nur im gut behüteten Drehbuch, das er und Veronika Franz geschrieben haben und an dem während dem Dreh weitergeschrieben wurde. Auch die gegenseitige Annäherung von Spielfilm und Dokumentation ist Programm. Die Recherchen zum Film fanden vor Ort statt und dauerten zwei Jahre. Die Beachboys arbeiten auch im wirklichen Leben als solche.
Wie die Geschichte und die Figuren erzählt werden, verleiht dem Film eine Tiefe, die auch Widersprüchlichkeiten aushält. Gut und Böse als Zuordnungen sind hier fehl am Platz. Teresa ist nicht nur naiv und wird in ihrer fast schon blinden Sehnsucht nach Liebe ausgenutzt, sie bleibt auch Täterin. Dass Frauen als Protagonistinnen des Sextourismus genauso wenig vor Vorurteilen und herabwürdigendem Verhalten gefeit sind, ist etwas, das der Blick auf Teresas persönliches Schicksal nicht ausmerzen kann. Die Beachboys sind Liebesobjekte, die sich frau kauft. Das heißt, wer zahlt, schafft an. Die Liebe, die sie geben, ist körperliche Liebe, die Liebe, die sie nehmen, wird mit dem Deckmantel einer Nächstenliebe umhüllt. Die Beach Boys verlangen nicht für den Akt Geld, sondern für die Familie, für medizinische Versorgung oder ein Motorrad. Das ist unaufrichtig, von den Beachboys, wie von den Frauen, die das hören wollen. Im Film existieren die Sichtweisen nebeneinander, ohne für eine Seite Partei zu ergreifen. Ohne zu beschönigen, möchte man sagen.
Paradies: Liebe ist trotz einer großen Portion Humor erschütternd und traurig. Der Blick Seidls auf die Figuren macht diese liebenswürdig, egal, welche Rolle sie spielen. Er lässt sie sein und führt sie nahe an die Zuschauer heran. Margarethe Tiesel ist die ideale Teresa. Sie verkörpert die Figur im wahrsten Sinne des Wortes, mit Leib und Seele. Traurig ist, ihr dabei zuzusehen, wie es ihr nicht gelingt, der Einsamkeit zu entkommen. Es ist unwahrscheinlich, dass Glaube und Hoffnung in dieser Hinsicht mehr Erfolg verheißen.
Regie: Ulrich Seidl, Drehbuch: Ulrich Seidl, Veronika Franz, Darsteller: Margarethe Tiesel, Peter Kazungu, Inge Maux, Dunja Sowinetz, Helen Brugat, Gabriel Mwarua, Laufzeit: 120 Minuten, Kinostart: 30.11.2012