Glassboy
Die Prämisse Samuele Rossis zweiter Spielfilmarbeit Glassboy gewinnt völlig neue gesellschaftliche Implikationen in einer Gegenwart grundverschieden von jener in Rolando Collas pre-pandemischer Kinderbuch-Vorlage. Deren Protagonist leidet in der Kinofassung an der Bluterkrankheit, weit mehr allerdings unter übervorsichtiger weiblicher Verwandtschaft. Während Mama (Giorgia Wurth) dank des Einflusses eines entspannten Papas ihren Beschützerinstinkt zurückschraubt, will die steinreiche Oma (Loretta Goggi) Pino (Andrea Arru) zu seinem vermeintlichen Heil zwingen. Zum Glück unterstützt den isolierten Helden seine neue Clique, deren Freundschaft die grobschlächtige Inszenierung beständig verbal beschwört, aber nie emotional vermittelt. Ausgerechnet das kindliche Quintett ist so stereotypisiert wie die Problematik der spekulativen Story.
Letzte vermeidet eine realistische Darstellung chronischer Krankheit ebenso wie eine überzeugende Auseinandersetzung mit den Kernthemen medizinische Bevormundung, Ableismus sowie der hochaktuellen Debatte Freiheit vs. Fremdkontrolle. Nach ähnlichem Muster suggeriert der Regisseur und Co-Drehbuchautor, negative Vorurteile abzubauen, obwohl er sie überall bedient. Mei Ming (Mia Pomelari) ist die überfleißige Asiatin und altkluge Brillenträgerin, Ciccio (Stefano Trapuzzano) der verfressene, als Spottzielscheibe dienende Dicke und Mavis (Rosa Barbolini) Tomboy-Look gilt als Symptom belastender Familienumstände. Selbige werden zusammen mit sämtlichen übrigen Konflikten nicht aufgearbeitet, sondern schließlich einvernehmlich ignoriert. Ironischerweise passend für einen Kinderfilm, der Probleme nur anspricht, um deren Relevanz zu negieren.
Regie: Samuele Rossi, Drehbuch: Rolando Colla, Samuele Rossi, Josella Porto, Darsteller: Andrea Arru, Rosa Barbolini, David Paryla, Valeri Gribov, Loretta Goggi, Rachel L. Carson, Filmlänge: 90 Minuten, Kinostart (Deutschland): 28.10.2021