Lovecut
Eine intime Geschichte welche die realistische Lebens- und Beziehungswelt von sechs Jugendlichen in Wien zeigt.
Die drei Handlungsstränge von Lovecut stehen jeweils für sich selbst, sind jedoch teilweise ineinander verwoben. Die Freudinnen Luka (Lou von Schrader) und Momo (Melissa Irowa) treffen den 18-jährigen Ben (Max Kuess) zu einem ausgelassenen Abend in einem Club. Als sich Ben und Luka im Verlauf des Abends und nächsten Morgens immer näher kommen, macht sie ihm schnell klar, dass sie zwar Zeit verbringen, jedoch keine Gefühle für einander entwickeln dürfen. Leichter gesagt als getan. Hinzu kommt, dass Ben auf Bewährung ist und sich keine Ausrutscher mehr leisten darf. Luka´s Freundin Momo ist in einer Beziehung mit Alex (Valentin Gruber). Der Haken? Sie haben sich bis jetzt nur per Videochat getroffen, was es Alex leicht gemacht hat, Momo zu verheimlichen, dass er im Rollstuhl sitzt. Sein Mitbewohner Jakob (Kerem Abdelhamed) rät ihm dazu, sie endlich offline zu treffen und in diese Tatsache einzuweihen. Leicht gesagt für ihn, da mit seiner Freundin Anna (Sara Toth) gerade alles gut läuft. Offen und freizügig nehmen die Verliebten immer wieder beim Sex auf. Was als intimes Spiel beginnt, wird kurz darauf zu einer Quelle für scheinbar leicht verdientes Geld, als sie eines ihrer Videos im Internet hochladen.
Das Indie-Projekt des Regisseurinnen-Duos Iliana Estañol und Johanna Lietha zeichnet sich durch einen ungewöhnlichen Werdegang und die dadurch gewonnene Realitätsnähe aus. Die jungen Darsteller sind ausschließlich Laien und wurden von den Regisseurinnen auf nächtlichen Straßen, in Clubs oder beim Schwedenplatz McDonald’s gefunden und zu den Castings eingeladen. Den Protagonisten wurde viel Freiheit eingeräumt, sich die Szenen und Dialoge selbst zu erarbeiten. Dadurch entsteht zeitweise das Gefühl, dass hier ein sehr realistisches Bild der Lebenswelt von jungen Erwachsenen eingefangen wird. Diese Herangehensweise kommt mit dem Preis, dass die Qualität der Darsteller zwischen überraschend gut und ungewollt komisch schwankt. Vor allem die Dialoge zwischen Anna und Jakob wirken teilweise zerfahren und holprig, während man zwischen Ben und Luka durchgehend eine interessante Chemie spürt.
Außerdem muss dem ganzen Cast zugutegehalten werden, wie locker und wirklichkeitsnah mit dem Thema Sexualität umgegangen wird. Eine der Szenen zeigt Alex, wie er mit einer älteren Frau seine ersten Erfahrungen macht. Was schnell ins lächerliche oder unbequeme kippen könnte, wird hier von den zwei Darstellern und Regisseurinnen souverän zu einer der stärksten Szenen im Film gemacht.
Leider verliert sich Lovecut darin, wie er die unterhaltsam angetragenen Handlungsstränge mit einem emotionalen Finale beenden kann. Die bis dahin nachvollziehbaren Aktionen und Reaktionen wirken in den letzten 20 Minuten forciert und stellen einen gewissen Bruch mit dem Beginn des Films dar. Jedoch ist es erfrischend zu sehen, dass hier kein Schicksal ein Hollywood-Happy-End bekommt und man noch öfter daran zurückdenkt was wohl aus den liebgewonnenen Charakteren werde könnte.
Lovecut verfolgt ein Konzept, dass man so nicht oft zu sehen bekommt. Die Vision wurde zu hundert Prozent durchgesetzt und verdient dadurch großen Respekt. Wenn man über die eine oder andere Macke hinwegsieht, bekommt man hier einen soliden Film, der sich von den meisten deutschsprachigen Produktionen durch seine Originalität abzuheben weiß.
Regie und Drehbuch: Iliana Estañol, Johanna Lietha, Darsteller: Kerem Abdelhamed, Raphaela Gasper, Valentin Gruber, Melissa Irowa, Alexander Jagsch, Filmlänge: 94 Minuten, Kinostart: 28.08.2020