Bilderbuch – Magic Life
Sie sind mit einem neuen Album zurück und es ist purer Ernst. Es ist ein Statement verpackt in schwachsinnigem Geschenkpapier aus Synthesizern und tragisch komisch aneinandergereihten Phrasen. Es ist eigentlich das, was man nicht erwartet hat, obwohl es sehr nach dem Erwartetem klingt. Und dann wären da noch die Frinks…
Wenn man momentan in eine Runde fragt, welche österreichische Band man unbedingt kennen sollte, dann wird mit nahezu unendlich großer Wahrscheinlichkeit Bilderbuch genannt. Und das nicht ohne Grund: Ihr letztes Album Schick Schock war wochenlang auf Platz eins der österreichischen Albumcharts und konnte auch in Deutschland und der Schweiz respektable Platzierungen erzielen. Ihr Stil und die Stimme von Sänger Maurice Ernst sind längst unverkennbar geworden. Die Erwartungen an dieses Album waren und sind also dementsprechend hoch. Setzen Bilderbuch mit Magic Life ein weiteres Zeichen im deutschsprachigen Pop oder haben sie ihren Zenit längst überschritten?
Nach dem Intro Carpe/Diem ist I <3 Stress der erste Song in voller Länge, den man auf diesem neuen Album zu hören bekommt. Er klingt im Prinzip sehr nach altbekannten Bilderbuch mit erhöhtem Anteil an Atmosphäre und Raffinesse. Die typisch überbetont und abgehackt gespielten Leadgitarren kreieren zusammen mit vermeintlich unbefriedigenden Übergängen tatsächlich eine Art Stress beim Hörer, was aber keinesfalls als unangenehm zu bezeichnen wäre. Dem Stress folgt Sweetlove, eine Bilderbuch-Ballade (der musste sein). Stilsicher chillen Bilderbuch auf knapp drei Minuten mit üblichen Wortspielen und natürlich sind die überbetonten Leadgitarren als fester Bestandteil des Sounds der Band auch hier zu hören. Bis jetzt also ein recht ruhiger Start für das Album. Von der Rockband Bilderbuch ist im Grunde nicht viel übrig geblieben.
Der gefühlt größte Hit auf Magic Life ist Bungalow. “Ich brauch’ Power für mein’ Akku” ist fast schon eine legendäre Phrase und so oft von Tageszeitungen zitiert worden, dass beim Blick auf die Akkustandsanzeige des eigenen Handys der darauffolgende Bilderbuch-Ohrwurm so gut wie unausweichlich vorherzusagen ist. Bungalow ist der beste Beweis dafür, dass man radiotauglich sein kann, ohne seinen Sound an den Mainstream des Pops anpassen zu müssen.
Sprit’n’Soda führt schließlich das etwas langsamere Tempo in Verbindung mit den repetitiven Elementen der ersten zwei Songs des Albums fort und ist textlich ein bisschen an die Inhalte und Phrasen, die in Bungalow eingeführt werden, angenähert. Während Erzähl deinen Mädels ich bin wieder in der Stadt vom Gefühl her an den typischen Bilderbuch-Sound erinnert, ist das darauffolgende SUPERFUNKYPARTYTIME der größte Ausreißer. Die Rhythmusgitarre rückt penetrant in den Vordergrund und macht den Song sehr rockig und belebt, was in dieser Form auf Magic Life einzigartig ist. Textlich könnte es um Themen wie Grenzen und Migration gehen, zumindest finden sich genug Anspielungen darauf (“An der Grenze, kein Admiral, na. Ich brauch no Passport, no creditcard, na…”).
Die eingangs erwähnten “Frinks” findet man übrigens bei Sneakers4free. Es ist ein Kunstwort, das aus den Wörtern “free” und “drinks” zusammengesetzt ist. Der Titeltrack Magic Life ist nichts anderes als ein Interlude, das weniger als eine Minute dauert und aus verwaschenem Sprechgesang mit musikalischer Untermalung besteht. Mit Baba starten Bilderbuch, laut eigenen Aussagen, einen Versuch Austropop in das Jahr 2017 zu holen und einen modernen Sound für dieses in die Jahre gekommene Genre zu finden. Die letzte Nummer Babylon übt ziemlich offen Religionskritik ( “Christus sagt ‘Come drink!’ und ich drinke Drink……Mohammed sagt ‘Let’s dance!’ und ich mach den Dance”).
Insgesamt lassen sich hinter den Texten auf Magic Life immer wieder Anspielungen auf ernste und schwierige Themen erkennen. Bilderbuch werden hier überraschend politisch und nehmen klar Stellung zu aktuellen gesellschaftlichen Problemstellungen, lassen dabei aber letztendlich genug Interpretationsspielraum, um das bei Bedarf bestreiten zu können. Meisterhaft verpacken sie zeitgemäße Sprache und Musik mit Ästhetik und Feingefühl für aktuelle Trends. Reine Instrumentalmusik wäre einfach nicht das, was man im Jahr 2017 als zeitgemäße Musik bezeichnen könnte. Mit der Kombination aus analogen Instrumenten und digitalen Sounds und Spielereien auf Magic Life gelingt Bilderbuch genau das: Musik am Zahn der Zeit mit unerwartet hohem Kultwert. Dieses Album, obwohl es erst ein wenig unscheinbar erscheint, ist ein absolutes Statement. Bilderbuch ist kein Austropop. Austropop gehört der Vergangenheit an. Die Musik der vier Wiener ist etwas Neues und Eigenes mit sprachlichem und musikalischem Bekenntnis zu Europa und der ganzen Welt. Magic Life gehört definitiv zu den besten deutschsprachigen Releases der letzten Jahre und sollte auch international mehr Aufmerksamkeit bekommen. So sollte zeitgemäßer Pop im Jahr 2017 klingen.
Bilderbuch – Magic Life, Maschin Records, www.bilderbuch-musik.at