The Lovers and the Despot
Von allen Filmfans unter den massenmordenden Dikatatoren ist Kim Jong-Il vielleicht der gruseligste. Nordkoreas vormaliger Diktator begnügte sich nicht damit, wie Adolf Hitler in einem eigenen Kino immer wieder Disneys Schneewittchen und Vom Winde verweht zu gucken oder wie Muammar Gaddafi eine eigene Fernsehstation zu errichten, die seine Lieblingsfilme spielt. In ihrem unglaublich-aber-wahren Dokumentarfilm zeigen Robert Cannan und Ross Adam die Geschichte des koreanischen Schauspielerpaars, dass der filmverrückte Fanatiker kidnappte.
Es ist buchstäblich eine filmreife Geschichte, die Cannan und Ross auf die große Leinwand bringen. Beim Anschauen beschleicht einen unwillkürlich der unangenehme Gedanke, dass Kim Jong-Il die Idee, dass „sein“ Plot nun ins Kino kommt, vermutlich richtig toll gefunden hätte. Es ist eine weitverbreitete Annahme, der faschistoide Staatsmann sei ein Filmliebhaber gewesen. Passender ist wohl die Bezeichnung Filmverrückter. Kims Vorstellungen von einem guten Film waren radikal – also in harmonischem Einklang mit seiner Grundhaltung in Politik und Kultur. Tränen konnte er angeblich gar nicht leiden. „Warum haben so viele unserer Filme Szenen, wo jemand weint? In allen Filmen wird geweint!“, klagt der Diktator auf einer Tonbandaufnahme.
Bevor sein eigener Film-Fanatismus noch tragische Züge annahm, beschloss Kim Jong-Il zu handeln. Der heimliche Star der sensationsheischenden Doku entführte Schauspiel-Star Choi Eun-hee und deren Ex-Mann, Regisseur Shin Sang-ok. Das einstige Traumpaar des nordkoreanischen Kinos sollte wieder vereint werden – ob es wollte oder nicht. Bei einem Besuch in Hongkong im Jahr 1978 wurde Choi von Agenten unter Drogen gesetzt und nach Pjöngjang entführt. Shin verbrachte vier Jahre in einem von Nordkoreas Gefängnissen, bevor er entlassen wurde und seine vor der Haft stagnierte Karriere neu aufnehmen musste.
Unter diesen dramatischen Bedingungen sahen Choi und Shin sich nach langer Zeit wieder. Sie spürten, dass ihre Gefühle füreinander noch nicht erloschen waren und kamen wieder zusammen. Um mit der extremen Situation psychisch fertigzuwerden, stellten sie sich ihre Lage als eine Kinogeschichte vor. Nebenher drehten sie einige der besten Filme ihrer Karriere und hatten dabei ironischerweise mehr künstlerische Freiheit, als sie es im kommerziellen Filmsystem gehabt hatten. Happy End. Okay, nicht ganz. Denn in den Klauen eines unberechenbaren Monsters zu stecken (einer von Kims Lieblingsfilmen war angeblich King Kong) ist vermutlich nicht so beneidenswert wie etwa das Leben von Hollywood-Vorzeigepaar Angelina Jolie und Brad Pitt.
Das vergisst die mitunter ziemlich reißerische Dokumentation bisweilen. In der Handlung um ein Interview mit Choi Eun-hee konstruierten Handlung (Shin Sang-ok verstarb 2006) sind die Grausamkeiten des Mörders und Unterdrückers Kim Nebensache. Bühne frei für des Diktators aberwitzige Aktionen. Das Leid der Menschen, die damals und heute in Nordkorea unter der Diktatur leben, hat in diesem Drehbuch höchstens einen Gastauftritt. Im Einklang mit dem Titel, der an ein romantisches Epos erinnert, vermittelt The Lovers and the Despot eine surreale Nostalgie. Fast bekommt man das Gefühl all die Ermordeten würden lachend wieder aufstehen, sobald Überregisseur Kim „Cut!“ ruft. Aber in der Realität ist eben doch nicht alles wie im Kino.
Regie: Ross Adam, Robert Cannan, Darsteller: Paul Courtenay Hyu, Filmlänge: 94 Minuten, gezeigt auf der Berlinale 2016