Where to invade next
Anders als es der Titel nahelegt, thematisiert Michael Moores neue Dokumentation nicht die aggressive Außenpolitik der USA, sondern deren sozialpolitische Krisenherde. Die Versprechen von Freiheit, Chancengleichheit und Glück sind längst ausgehöhlt: Worthülsen, die nur allzu oft dazu dienen Bürger- und Menschenrechtsverletzungen zu rechtfertigen.
Wie man es besser machen kann zeigt der Regisseur mit seiner emblematischen Invasion fremder Länder. In seinem ersten komplett außerhalb der USA gedrehten Film zieht Moore, das US-Banner wie einen Superman-Umhang um die Schultern, als One-Man-Army in Italien, Frankreich, Deutschland und einer Reihe weiterer Staaten ein und lässt sich von den Einwohnern erzählen, wie gut es ihnen mit bezahltem Urlaub, kostenfreier Schulbildung und Resozialisierungsprogrammen geht. Dass die bei der spaßigen Rundreise vorgestellten Errungenschaften nur ein Ausschnitt eines komplexeren und keineswegs tadellosen Gesamtbildes sind, lässt Moore dabei durchaus durchblicken.
Er sei gekommen, um Blumen zu pflücken, nicht um Unkraut zu jäten. Seine Mission fühlt sich so allerdings meist ähnlich harmlos an wie ein Sommerspaziergang, nicht zuletzt wegen der sonnigen Kamerabilder. Moores Stärke als Filmemacher ist jedoch gerade das schonungslose Aufrühren von staats- und firmenpolitischen Morast. Dieses mal deckt er weder neue Fakten auf, noch führt er verborgene Zusammenhänge pointiert vor Augen. Lieber lässt er bekannte Probleme Revue passieren, als wolle er seinen Landsleuten sagen: Habt ihr es denn immer noch nicht begriffen?
Das hat trotz der Dringlichkeit der Botschaft etwas Ermüdendes. Genau wie Moores Running Gag, in jedem Land die US-Flagge als Symbol seiner Eroberung „exotischer“ sozialer Konzepte aufzustellen. Einen gewissen Überdruss mit Moores Späßen meint man auch den Gesprächspartnern anzusehen. Bisweilen wirkt sogar er selbst abgekämpft und sein zur Schau gestellter Optimismus wie eine innere Kapitulation. „Die Leute wollen keine Medizin, sie wollen Popcorn“, sagte Moore auf dem Filmfestival von Toronto. Für Anhänger der sozialen Gerechtigkeit, für die Moore immer noch eintritt, sind solche Worte aus seinem Mund eine bittere Pille.
Am Ende der filmischen Bildungsreise kehrt Michael Moore schließlich dorthin zurück, wo er vor über 25 Jahren stand: an die Berliner Mauer. Hier erlebte er 1989 hautnah, dass selbst in Stein gemeißelte Regelwerke niedergerissen werden können. Einen Monat später kam Roger & Me in die US-Kinos und machte dem konservativen Regierungssystem klar, dass jemand entschlossen war, an ihren Fassaden zu kratzen. „Hammer and chissel“, wiederholt Moore vor der Kamera, während er an den Mauerresten entlanggeht: „Hammer und Meissel.“
Sein jüngster filmischer Appell beweist, dass der 61-jährige Filmemacher weiterhin auf die Ungerechtigkeiten in seinem Heimatland einhacken wird. Sein Meissel jedoch scheint an Schärfe verloren zu haben. Mit aufrüttelnden Dokumentationen wie Bowling for Columbine und Fahrenheit 9/11 legte Moore einst den Finger in die Wunde. In Where to invade next begnügt er sich damit, buchstäblich bloß von weitem darauf zu zeigen.
Regie: Michael Moore, Mit: Michael Moore, Krista Kiuru, Tim Walker, Filmlänge: 110 Minuten, Kinostart: 25.02.2016, wheretoinvadenext.com