Suffragette
Das Historiendrama Suffragette von Sarah Gavron erzählt die Geschichte der Gleichberechtigung und den damit verbundenen, noch immer anhaltenden Kampf auf angenehm unkonventionelle Weise. Eine wichtige Botschaft, die aber manchmal das Gesehene dominiert.
Sarah Gavrons markanter Historienfilm überzeugt in vielerlei Hinsicht. Am stärksten ist die Dramatisierung des weiblichen Kampfs um Wahlrecht jedoch in der Umkehr konventioneller Adaptionen von Frauenbiographien. Die Hauptfigur Maud Watts (Carey Mulligan) geht ihren Weg entgegen des für weibliche Filmfiguren etablierten Ziels hin zu Mann und Kindern. Stattdessen beginnt sie genau dort, wo in einem anderen Film das Happy End sein könnte. Abi Morgan, auf deren gleichnamigen Theaterstück das Drehbuch basiert, zeichnet ein harsches, realistisches Bild der gern romantisierten Edwardianischen Epoche. Mauds Alltag bestimmen Erniedrigung, Gewalt und Entrechtung auf jeder Ebene. In der Wäscherei arbeitet sie unter lebensbedrohlichen Bedingungen mehr Stunden als männliche Kollegen zu geringerem Lohn und ist zusätzlich der sexuellen Aggression ihres schmierigen Vorgesetzten Mr. Taylor (Geoff Bell) ausgesetzt. Daheim gehören ihr Lohn und die Vormundschaft über den Haushalt und den kleinen Sohn Mauds Ehemann Sonny (Ben Wishaw). In den Augen des Staats ist die junge Frau ein Niemand, wie ihr der Polizeioffizier Steed (Brendan Gleeson) erklärt. Lieber als das ist Maud die eine der Aufrührerinnen, von denen es nicht nur in London immer mehr gibt.
„Panks“ schimpft diese Frauen die Öffentlichkeit, nach der vehementen Anführerin Emmeline Pankhurst (Meryl Streep). Die Ikone der Frauenbewegung ist eine der wenigen historischen Figuren der größtenteils von fiktionalen Charakteren bevölkerten Handlung. Nach Jahren des vergeblichen friedlichen Protests ist Pankhurst zu allem entschlossen. Maud wird zufällig Zeugin des zivilen Ungehorsams, zu dem sie die Suffragetten, wie die damalige Frauenrechtsbewegung genannt wurde, aufruft und sieht zum ersten Mal die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. Der Wunsch, ihre Arbeitskollegin Violet (Anne-Marie Duff) vor Minister David Lloyd George (Adrian Schiller) aussagen zu hören, bringt sie in Kontakt mit der ebenso gebildeten wie entschlossen Chemikerin Edith Ellyn (Helena Bonham Carter). Maud fängt Feuer für die Bewegung der Suffragetten.
Erst fliegen Postkästen in die Luft, dann die Villa eines Ministers. Schließlich ist es das Privatleben der vormals unterwürfigen Gattin und Mutter, das ihrem politischen Engagement zum Opfer fällt. Obwohl Regisseurin Gavron dem Zuschauer eine tränenreiche Abschiedsszene zwischen Maud und ihrem Sohn nicht erspart, zeichnet der Plot die Entwicklung der Protagonistin konsequent als Bereicherung für sie selbst und die Gesellschaft. Mauds bisherige Existenz war ein Gefängnis. Der Zusammenbruch dieser respektablen Existenz, wie Sonny sie nennt, ist tatsächlich eine Form von Befreiung.
Selbst, wenn diese intellektuelle Freiheit Maud, Edith und ihre Mitstreiterinnen wiederholt ins Gefängnis bringt. In ihren neuen Gefährtinnen findet die stille Heldin mehr Unterstützung, als sie es durch ihren Ehemann und den manipulativen Steed je erfahren hätte. Im Kampf findet sie einen Sinn, den ein Dasein als entrechtete Arbeiterin und Hausfrau nicht bieten kann. In den Handlungsjahren von 1912 bis 1913, wo ein radikaler Schritt der realen Emily Wilding Davison (Natalie Press) die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die Ziele der Suffragetten lenkte, ist der von Maud prophezeite Sieg noch fern. Erst 1928 erhielten Frauen in Großbritannien das volle Wahlrecht.
In Deutschland gibt es das Frauenwahlrecht seit 1918, in den gesamten USA seit 1920, in der Schweiz erst seit 1971. Im Jahr 2015, aus dem dieser Film stammt, soll den Frauen Saudi Arabiens das Wahlrecht eingeräumt werden. Ein Blick auf die internationalen Staatsführer genügt jedoch, um festzustellen, dass nach wie vor Männer die Macht in der Hand halten. Dies und die anderen Benachteiligungen von Frauen und Mädchen überall auf der Welt gibt dem Motto des Films besonderen Nachhall: „Niemals aufgeben. Niemals aufhören zu kämpfen.“
Regie: Sarah Gavron, Drehbuch: Abi Morgan, Darsteller: Carey Mulligan, Helena Bonham Carter, Meryl Streep, Brendan Gleeson, Ben Whishaw, Filmlänge: 106 Minuten, Kinostart: 05.02.2016, www.suffragettemovie.com