Janis: Little Girl Blue
„Sie stand in Kontakt mit ihren Gefühlen.“, beschreibt ein ehemaliges Band-Mitglied Janis Joplin und die ungeheure Ausdruckskraft, die ihre Musik ausmacht. Regisseurin Amy Berg nimmt sich in ihrer Filmbiografie diese Authentizität zum Vorbild. Jede Szene transportiert so viel wie nur irgend möglich von der Protagonistin, die einen trotz der konventionellen Inszenierung packt.
Janis: Little Girl Blue ist nach Montage of Heck und Amy die dritte Kino-Doku über eine jung verstorbenen Musikikone. Wenn sie auf der Bühne stand, war alles gut. Dann war die Begeisterung der Fans eine Gegenstimme zu den Grausamkeiten der Mitschüler ihres spießigen Heimatorts Austin, Texas. Janis Joplins Leben zeigt Berg immer auch als verzweifelten Kampf um Akzeptanz und Wertschätzung. Janis: Little Girl Blue wird seinem Namen gerecht und interessiert sich mehr für die Persönlichkeit Janis Joplin als für die Legende. Die begann 1967 auf dem Monterey Pop Festival. Berg weiß um die immense Kraft von Janis Joplins Musikdarbietungen und schöpft sie bis zur Grenze aus.
Einen erheblichen Teil der Laufzeit füllen Live-Mitschnitte und Tonstudioaufnahmen, zuerst mit Big Brother and The Holding Company, später mit der Kozmic Blues Band. Die Masse an Song-Material ist zugleich Vor- und Nachteil des dokumentarischen Konzepts, das sich manchmal zu fest an die einzelnen Stücke klammert. Die Kehrtwendungen und Brüche im kurzen Leben der Blues-Sängerin sind so mitunter zu komplex für den gradlinigen Erzählfluss. Allerdings geht es Berg weniger darum zu analysieren. Ein Fundus an Ton- und Bildaufnahmen, in denen Janis vor dem Zuschauer spricht, tanzt und ihren Schmerz hinaus schreit, soll vor allem einen Eindruck von ihrem facettenreichen Charakter liefern.
Janis: Little Girl Blue sucht den magischen Funken, von dem Geschwister und Kollegen sprechen. Eine spezielle Chemie zwischen ihr und dem Publikum, das sie in Interviews oft vergeblich umschrieb. In einem bezeichnenden Fernsehausschnitt von „Hollywood Palace“ witzelt Moderator Don Adams verständnislos über diese Dynamik, die in seinen Augen ein komischer Hippie-Spleen scheint. Solche Momente machen auf nahezu schmerzliche Weise bewusst, wie sehr Janis selbst auf dem Höhepunkt ihres Ruhms eine Außenseiterin war und bis zu letzt blieb. Nicht zuletzt, da die Gesellschaft am Rocker-Temperament einer Frau mehr Anstoß nahm als sie es wohl bei einem männlichen Musiker getan hätte.
Kurz vor ihrem Tod berichtet Janis, wie die anderen nach einer Show mit hübschen Mädchen abziehen. Sie hingegen, die weder in Aussehen, noch Auftreten auf das damalige Frauen-Ideal passt, bleibt allein. Der Blues – in jedem Sinne des Wortes – verlässt sie nie. In ihrer Stimme, ihren energiegeladenen Auftritten gibt sie alles und alles von sich Preis: „Take another little piece of my heart.“ Vielleicht, deutet das intensive Porträt an, da sie sonst niemanden hatte. Der unvorhersehbare Schock, als Bekannte ihren Tod beschreiben, scheint so ein trauriges Zeichen dafür, wie wenig ihr Umfeld von ihrem Seelenleben registrierte.
Diese Erkenntnis berührt und bedrückt gleichermaßen, am meisten, wenn die Hauptfigur (Stimme: Chan Marshall alias Cat Power) selbst davon spricht: „You can’t imagine how hard it is to be me.“ Auf Fotos sieht man sie meist lachend und sprühend vor Energie. Doch das sind nur Schnipsel eines größeren Bildes, das Berg auf mitreißende Weise zusammenfügt.
Regie: Amy Berg, Mit: Janis Joplin, Cat Power, Peter Albin, Sam Andrew, Filmlänge: 115 Minuten, Kinostart: 29.01.2016