The Wolfpack
Was wird man für ein Mensch, wenn man weggesperrt in einem Apartment im Herzen New Yorks aufwächst? Dieser Frage geht Crystal Moselle in ihrer Debüt-Dokumentation The Wolfpack nach.
Die sechs Brüder und ihre Schwester der Familie Angulo haben ihre gesamte Kindheit und Teile ihrer Jugend zusammen in einer Wohnung mitten in New York City verbracht. Vater Oscar wollte die Familie, nach einem Schusswechsel vor der Haustür, vor Gefahren und Verführungen der Außenwelt bewahren und wählte daher die drastische Maßnahme seine Kinder in den eigenen vier Wänden festzuhalten. Diese erklärten sich die Welt außerhalb des Apartments selbst mit Hilfe von Hollywoodfilmen. Eines Tages beschließt einer der Brüder die scheinbar so heile und sichere Welt der eigenen Wohnung zu verlassen. Als er aus dem Konstrukt ausbricht, gerät die Welt auch für die restlichen Geschwister ins Wanken.
Es wirkt fast surreal, dass sieben Geschwister mitten auf der Lower East Side von Manhatten völlig abgeschottet in einem Apartment aufwachsen und über Jahre hinweg keiner ihre Existenz wahrzunehmen scheint. Unterrichtet werden sie von ihrer Mutter Susanne, einem ehemaligen Hippiemädchen aus dem Mittleren Westen, und es entsteht der Eindruck, dass es ihr zu verdanken ist, dass die Kinder in der völligen Isolation nicht komplett wahnsinnig werden. Denn trotz des klaustrophobischen Familienkäfigs erkennen sie ihre Kreativität und leben diese aus.
Filme retten sie über trostlose und eintönige Tage – Szene für Szene tippen sie in Drehbüchern ab, mit ein paar wenigen Hilfsmitteln erstellen sie teilweise Sets und mit einer Kamera spielen sie Filme schlussendlich nach. Im Jahr 2010 im Alter von 15 Jahren durchbricht einer der Brüder, Mukunda, hinter einer selbstgebastelten Michael-Myers-Maske verborgen, die Einsamkeit der Wohnung und landet dafür kurz in der Psychiatrie. Dass hat zum Vorteil, dass die Behörden auf die Familie aufmerksam werden und später alle Kinder psychologisch betreut werden.
Crystal Moselle (bekannt durch die Kurzgeschichten Something Big, Something Small) ist den Brüdern, die sich nur im Rudel à la Reservoir Dogs aus der Wohnung wagen, zufällig in Manhattan über den Weg gelaufen und hat die Jungs vier Jahre lang begleitet. Entstanden ist ein Film der den Ausbruch aus einem fragwürdigen Familienkonstrukt und den Aufbruch in das eigene Leben aufzeigt. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen der Fiktion des Films und der Realität, die nicht gänzlich frei von Konflikten und Gefahren ist, und genau das macht den Debüt-Film von Moselle, der 2015 beim Sundance Festival den Grand Jury Preis gewonnen hat, so faszinierend.
Der Film von sieben jungen Männern, die der Isolation und der beengenden Welt eines patriarchischen Vaters entfliehen, sich selbst außerhalb ihres „Rudels“ finden und trotz zahlreicher Ängste versuchen ihr Leben zu leben, ist verstörend und packend zugleich.
Regie: Crystal Moselle, Darsteller: Bhagavan Angulo, Govinda Angulo, Jagadisa Angulo, Krsna Angulo, Mukunda Angulo, Narayana Angulo, Filmlänge: 90 Minuten, gezeigt im Rahmen der Viennale V’15, www.thewolfpackfilm.com