2012
Roland Emmerich, seines Zeichens „Meister“ des Katastrophenfilms, kehrt zurück: Wer dachte, dass nach visuell opulenten Großtaten wie Independence Day, Godzilla und The Day after Tomorrow schon alles in Sachen Zerstörungswut gesehen zu haben, wird abermals vom Regisseur mit deutschen Wurzeln vorgeführt. Überraschend wahrheitsgemäß erscheinen auf den ersten Blick die unterschiedlichen Varianten der englischen Untertitelung von 2012: The End is just the Beginning bzw. We were warned – beides trifft auch mit verblüffender Genauigkeit auf Emmerichs Œuvre zu. Fast bedauerlich erscheint bei seinem naiven Größenwahn in Sachen Zerstörungsspektakel immer wieder die Tatsache, dass bei all der visuellen, computergestützten Pracht auch so etwas wie ein dramaturgischer Rahmen gesetzt werden muss, um eine Handlung rund um die Ereignisse zu etablieren.
So kommt es auch, das 2012 neben tödlichen Naturgewalten und dem Ende der uns bekannten Welt auch noch mit mehreren Figurenkonstellationen und Handlungsstränge jongliert, die zwar allesamt wenig überraschend oder überzeugend sind, auf ihre wahnwitzige Art allerdings im Gesamtkontext höchst amüsant erscheinen. Das titelgebende Jahr 2012 stellt den Dreh- und Angelpunkt der Erzählung dar, denn laut unheilvoller Maya-Prognose findet die menschliche Zivilisation genau an jenem 21. Dezember gleich samt der von ihr bevölkerten Umgebung – sprich: der gesamten Welt – ihr Ende. Um spekulative Herangehensweisen weitgehend auszuschalten, werden zudem auch Hinweise auf vergleichbare Zeitpunkte in anderen Religionen gegeben, so soll etwa das alte Testament ebenso wie das chinesische I-Ging das Untergangsszenario und dessen Glaubwürdigkeit untermauern.
Emmerich und sein Vorarlberger Drehbuchpartner Harald Kloser haben diesmal als lebensnahen, bodenständigen Hauptcharakter den seit Jahren – in Sachen qualitative Rollen spielenden – unterbeschäftigten John Cusack engagiert, der zugleich auch als Identifikationsfigur für Kloser selbst steht (geschieden, zwei Kinder, hingebungsvoller Autor). Den Part der prototypischen Ex-Frau, die insgeheim Gefühle für ihren geschiedenen Partner hegt, diesen noch bei jeder Gelegenheit verteidigt und die Aufsicht über die zwei süßen Kinder hat, darf Amanda Peet übernehmen. Als dritter und vermutlich wichtigster Teil im Bunde der Charakterklischees mimt Chiwetel Ejiofor den sympathischen, redegewandten, gutaussehenden und zugleich wahnsinnig kompetenten Wissenschaftler, der relativ plötzlich über Daten stolpert, die das Ende der Welt berechenbar machen.
Genau mit jenem Vorfall beginnt die schnell erzählte Handlung: Ein Wissenschaftler macht den amerikanischen Präsidenten (einschläfernd: Danny Glover) auf die größte und unausweichliche Katastrophe seit Menschengedenken aufmerksam, die in wenigen Jahren stattfinden wird. Um globale Hysterie zu vermeiden, beschließen die führenden Staatsoberhäupter, daraus Verschlusssache zu machen und einen Rettungsplan für ausgewählte (und zahlungsfreudige) Bürger zu entwerfen. Während also im fernen China von vielen fleißigen Arbeitern gigantische Arche-Projekte in Auftrag gegeben werden, kämpfen sich normale Erdbürger durch den Alltagsdschungel, ohne zu wissen, dass die Erdkruste bald nicht mehr existent sein wird.
Der glücklose Schriftsteller Jackson Curtis (Nicolas Cage hatte vermutlich keine Zeit, also: John Cusack) etwa muss sich als Chauffeur für versnobte Russenzwillinge über Wasser halten und selbst bei einem lange geplanten Ausflug in den Yellowstone National Park stellt sich keine zufriedenstellende Verbindung mit seinen Kinder für ihn ein – seine Tochter trägt immer noch Windeln, der Sohn spricht ihn nur mit Vornamen an und solidarisiert sich mit dem neuen Freund (Chirurg, fährt also Porsche) der Mutter. Zusätzlich zur innerfamilieren Misere gesellen sich noch merkwürdige Naturphänomene und die Anwesenheit der US-Armee sowie die Errichtung eines Sperrgebietes, die den Autor zum verstärkten Nachdenken anregen. Erst durch die Bekanntschaft mit dem verrückten Eremiten, Radiomoderator sowie Verschwörungstheoretiker Charlie Frost (Woody Harrelson) lichtet sich der Nebel: Das Ende der Welt steht bevor und niemand kann dem entrinnen…vor allem natürlich kein einigermaßen bekanntes Wahrzeichen, was seit Independence Day oder The Day after Tomorrow gewissermaßen schon zum fixen Repertoire von Roland Emmerich gehört. Ob nun das weiße Haus von einem Flugzeugträger samt Flutwelle ausradiert oder der Petersdom wie eine Bowlingkugel umhergeschleudert wird: eine Zerstörungsorgie in diesem Ausmaß hat das Publikum bisher noch nicht gesehen, was angesichts eines Budgets von 200 Millionen US-Dollar auch wenig verwunderlich ist.
Natürlich darf dabei auch die Frage aufgestellt werden, ob dem Publikum bei all dieser offensichtlichen Begeisterung für katastrophale Endzeitszenarien nicht auch ein Funken relevanter Handlung zumutbar wäre. Zweifellos ist der spektakuläre Rundflug durch einstürzende Hochhäuser im virtuellen Großraum von Los Angeles beeindruckend in Szene gesetzt, ist es allerdings tatsächlich so belanglos, wie es dazu kommt, wer das Steuer der Maschine übernommen hat oder wie plausibel der gesamte Vorgang tatsächlich ist?
Natürlich kann man kein emotional mitreißendes Drama von einen Film dieses Genres erwarten, angesichts der unglaublich vereinfachten Handlungselemente, der gigantischen Plotlöcher und dem Einsatz fast jedes nur erdenklichen Action-, Charakter- und Verschwörungsklischees darf allerdings zumindest auf ein Streben danach erhofft werden. Der typische Russe ist reich und korrupt, der Regierung ist grundsätzlich im Ernstfall nicht zu trauen, Amerika ist die dominante Macht in allen Belangen, Wissenschaftler sind immer ausnahmslos vertrauenswürdig und absolute Koryphäen auf ihrem Gebiet, der US-Präsident opfert sich selbstredend für sein Volk nach einer tränenreichen Ansprache, Verschwörungstheoretiker behalten immer Recht, Mithilfe von Naturkatastrophen lassen sich Familien wieder zusammenführen, usw. usf. – diesmal hat Emmerich nichts ausgelassen, erheiternde Lacher aufgrund dieser vermutlich gewollten Selbstpersiflagen sind also vorprogrammiert.
In stolzen 158 Minuten erlebt der Zuseher die ausschließlich optisch beeindruckende Odyssee des Protagonisten, der per pedes und motorisiert sowohl an Land als auch in der Luft buchstäblich vor dem Unausweichlichen flüchtet, Sinn und Inhalt werden dabei vollkommen von Bord geworfen – auch die klerikalen Anspielungen Emmerichs (Michelangelos Deckengemälde „Erschaffung des Adam“ in der Sixtinischen Kapelle wird etwa demonstrativ und zugleich wenig subtil kurz vor der totalen Zerstörung am zentralen Punkt durch einen Riss entzweit) helfen angesichts der nichtssagenden Standpunkte und Perspektiven von 2012 wenig.
Bitte das Sitzfleisch gut vorbereiten, Hirn auf „OFF“ stellen und im Falle amerikanischer Herkunft schon mal zum Singen der Nationalhymne bereitmachen: Roland Emmerich meldet sich also mit einem Katastrophenfilm zurück, der alle anderen (meist von ihm produzierten) vergleichbaren Werke in den Schatten stellt, sei es nun der visuelle Overkill oder die stereotypen Charaktere, die belanglos durch die Szenerie hetzen. Wer an der schmalzigen Story von Independence Day und den lachhaften Geschehnissen in The Day after Tomorrow nichts auszusetzen hat sowie pures Popcornspektakel ohne filmische Logik erwartet, wird bei 2012 garantiert nicht enttäuscht werden.
Regie: Roland Emmerich, Drehbuch: Roland Emmerich, Harald Kloser, Darsteller: John Cusack, Amanda Peet, Chiwetel Ejiofor, Woody Harrelson, Thandie Newton, Laufzeit: 158 Minuten, DVD-Release: 25.03.2010