The Nightmare
Dunkle Gestalten mit langen Klauen und großen Augen, die Nacht für Nacht wiederkommen, ohne dass man sich ihrer erwehren kann? Gutenachtgeschichten sehen anders aus.
Was für viele rein dem Gebiet der Fantastik und des Horrors zuzuschreiben ist, ist für manche mehr oder weniger regelmäßig erlebte Realität. Das Phänomen der Schlafparalyse hat, wenn auch selten explizit beschrieben, über die menschliche Kulturgeschichte hinweg schon in vielen mystischen Gestalten und Zuschreibungen Abbildung erfahren (beispielsweise im berühmten Gemälde „Der Nachtmahr“ von Johann Heinrich Füssli). Gemeint ist damit ein in der Phase des Einschlafens oder Aufwachens eintretender Zustand des wachen Bewusstseins bei gleichzeitiger körperlicher Bewegungsunfähigkeit. Letzteres ist ein natürlicher Schutzmechanismus des Körpers, der bei jedem Menschen in der REM-Schlafphase eintritt, um Bewegungen während des Schlafes und damit das Verletzungsrisiko zu minimieren. Normalerweise bekommt man davon jedoch nichts mit, da die Bewegungsfähigkeit spätestens beim Aufwachen wieder hergestellt ist. Nicht so jedoch bei Menschen, die an Schlafparalyse leiden. Diese erleben die körperliche Lähmung bewusst und berichten darüber hinaus von unheimlichen, halluzinatorischen Erlebnissen während dieser Phasen.
Rodney Ascher, der sich schon beim von Kritikern gelobten Room 237, in dem er sich mit Stanley Kubricks The Shining auseinandersetzte, einem Horrormythos angenähert hat, greift auch hier wieder auf dokumentarische Mittel zurück, um die scheinbar durchlässigen Grenzen zwischen Realität und Fantasie abzubilden. Interviews mit acht an Schlafparalyse leidenden Menschen aus den USA und Großbritannien werden dabei mit Spielfilmsequenzen montiert, in denen ihre Erlebnisse nachgestellt und physische Entsprechungen für die phantasmagorischen Traumgestalten gefunden werden, von denen sie berichten. Sukzessive wird dabei eine Atmosphäre des Bedrohlichen aufgebaut und gesteigert, untermalt von einem Score, der subtil aber eindringlich die unheimliche Stimmung unterstützt. Die Intention des Regisseurs ist dabei schnell klar: hier geht es nicht um eine seriös-wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik, sondern um Stimmung, Emotionalität und Wirkung.
Insofern ist The Nightmare vielmehr Spielfilm als Dokumentation, lässt vieles offen und einiges vermissen, wie beispielsweise eine wissenschaftliche Perspektive, welche komplett ausgespart bleibt. Als gruselig-stimmige „based on true facts“-Geschichte funktioniert der Film aber ganz gut und der eine oder andere Gänsehautmoment ist garantiert, auch wenn die abgebildeten Gestalten nicht immer wirklich erschreckend sind. Erwartet man hier einen konventionellen Dokumentarfilm, wird sich eventuell Enttäuschung, in jedem Fall aber Überraschung einstellen, ob der die – ohnehin hinterfragenswerten – Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen lassenden Inszenierung.
The Nightmare ist in seinen besten Momenten spannend und eindringlich, in seinen schwächsten allerdings belanglos und effektheischend, was der, bei näherer Betrachtung schon sehr beunruhigenden, Grundthematik etwas den Wind aus den Segeln nimmt. So werden faszinierende Ansätze durch deren bildliche Inszenierung eher unterwandert als unterstützt, beispielsweise wenn offensichtlich wird, welche großen Parallelen die anthropomorphen Schreckgestalten in den Schilderungen verschiedener Betroffener aufweisen, deren bildliche Umsetzung im Film allerdings zu keiner Intensivierung des Schreckens beiträgt und man sich fragt, ob manches nicht doch lieber der Fantasie der Zuschauer überlassen worden wäre.
So bietet The Nightmare zwar einen recht hohen Unterhaltungswert, am Ende bleibt aber doch eher ein „nicht Fisch, nicht Fleisch“-Eindruck zurück – sowohl für jene, die sich ein wenig mehr Hintergrundwissen und Substanz erwartet, als auch für die, die bloß auf einen hohen Gruselfaktor gehofft haben.
Regie und Drehbuch: Rodney Ascher, Mitwirkende: Siegfried Peters, Stephen Michael Joseph, Yatoya Toy, Nicole Bosworth, Laufzeit: 91 Minuten, gezeigt im Rahmen der Viennale V’15