50 Jahre Filmmuseum Band 1: Aufbrechen – Die Gründung des Österreichischen Filmmuseums
Das Österreichische Filmmuseum begeht sein Jubiläum zum 50-jährigen Bestehen mit einem umfangreichen, über das ganze Jahr verteilten Programm, das die eigene Geschichte reflektiert und das Medium Film feiert. Aus diesem Anlass erschien im Frühjahr eine gemeinsam mit Synema verlegte dreibändige Publikation.
Der erste, von Eszter Kondor verfasste Band (mit Ausnahme eines Kapitels, an dem auch Alexander Horwath geschrieben hat) trägt den Titel Aufbrechen. Die Gründung des Österreichischen Filmmuseums und erzählt von der Gründung der Institution durch Peter Konlechner und Peter Kubelka, gemeinsam mit Heinrich Wille und der Hochschülerschaft der Technischen Universität Wien, im Jahr 1964. Die den Zeitraum bis 1974 behandelnde Publikation ist keine klassische Geschichte in chronologischer Darstellung, sondern vielmehr eine Abfolge synchroner Problematiken der Gründungsjahre, denen die Kapitel folgen. So gliedert sie sich in Fragen der kulturellen und institutionellen Positionierung, des Standorts, der Finanzierung, des Aufbaus und der Erhaltung der Sammlung, der Präsentationspolitik und Programmierung ebenso wie der Kontextualisierung im Umfeld der Wiener Kunstszene. Es ergibt sich ein vielstimmiges Bild, das abseits des Idealismus des Selbstverständnisses einen Einblick in pragmatische Bedingungen gibt, doch die Fülle und Detailliertheit der Informationen weckt bisweilen auch den Wunsch nach einer chronologischen Übersicht.
Die von Seiten anderer Vereinigungen wie der Gesellschaft der Filmfreunde Österreichs, dem Österreichischen Filmarchiv oder der Viennale getätigten Reaktionen auf die Kinokrise der 1950er Jahre und Bemühungen auf der Suche nach dem „guten“ Film werden in einem ersten Kapitel zur Vorgeschichte des Filmmuseums, in der Hinsicht, dass sie Konlechner und Kubelka mehrere Gegenüber zur Abgrenzung und Schärfung der eigenen Position boten. Die gängigen Maßnahmen zielten auf die wissenschaftlich-pädagogische Projektion („Volksbildung“), beförderten die Wertschätzung des Films als museal und historisch bedeutungsvolles Archivmaterial oder betonten seine Rolle als Kunstwerk. Konlechner/Kubelka jedoch ging es darum, in Österreich ein Bewusstsein und einen Ort für „Filmkultur“ zu schaffen, die Film in seiner Vielseitigkeit (und damit auch: Widersprüchlichkeit) gerecht werden konnte, als Artefakt und Erlebnis, in Form einer „Hinwendung zum Film selbst, als einer ereignishaften und zugleich fachlich anspruchsvollen Ausdrucksweise, unabhängig davon, ob es sich beim gezeigten Werk um einen Avantgardefilm, eine Wochenschau, einen ‚Kunstfilm‘, Propagandafilm oder um populäres Genrekino handelt.“
Eszter Kondors minutiöse Darstellung und die Vielzahl der im Originallaut einbezogenen Wortmeldungen, Interviewbeiträge und Schriftstücke unterschiedlicher Haltungen zeigen die ersten Jahre als ein Ringen um Anerkennung. Die Stimmung in Kunst und Politik der Zeit wird gleichermaßen eingebracht, wie das Parkett der Eitelkeiten, auf dem sich Konkurrenz und Animositäten der Institutionen und ihrer Sprecher untereinander abbilden. Kondors Beitrag lässt ahnen, dass die Akteure weniger eine vermeintliche „Liebe zum Film“ (die nicht zu leugnen ist) antrieb, und verdeutlicht in großem Maße ein aufklärerisches Sendungsbewusstsein, das sich nicht vor „Hochstapelei“ (im metaphorischen wie wortwörtlichen Sinne) scheute, schließlich galt es, „den Film vor dem Untergang zu retten“ und den Leuten „beizubringen, was Film wirklich ist“ (Konlechner). Die Gründer formulierten Standards, welche die fachgerechte Bewahrung und Präsentation der Filme und eine originalgetreue und störungsfreie Filmerfahrung ermöglichen sollten – eine noch heute keineswegs selbstverständliche Zugangsweise, nicht in einer kommerziell ausgerichteten Filmbranche und noch rarer in der Öffentlichkeit.
Das Moment des Projektionsereignisses verwirklichte Peter Kubelka in der Einrichtung des Unsichtbaren Kinos, das den unmittelbaren Raum in einer nächtlichen Schwärze verschwinden lässt und die ganze Aufmerksamkeit des Auges auf den einzigen Lichtpunkt der Leinwand und in die filmische Realität zieht. Zuerst in New York umgesetzt, wurde es in Wien 1989 eingebaut, als die neuen Räumlichkeiten des Filmmuseums im Hofburgtrakt der Albertina zum bleibenden Standort geworden waren. Die durch diesen Raum materialisierte „Ästhetik der Filmbetrachtung“ wurde zum Vorbild für andere Kino- und Projektionsräume.
Entgegen der ursprünglichen Annahme der Gründer beweist das Österreichische Filmmuseum damals wie heute, dass etwas wie mangelndes Interesse an Filmkultur eher einem mangelhaften Angebot zuzuschreiben ist. Sein Werdegang veranschaulicht, im Wortlaut der Gründer: Manchmal muss man Dinge einfach tun, „weil es sonst niemand tut!“ Das gilt auch für diese bemerkenswerte Gründungsgeschichte.
Nächste Woche: Band 2: Kollektion, und Band 3: Das sichtbare Kino