Beasts of the Southern Wild
Die Viennale 2012 ist zu Ende. Zurück bleibt ein wenig Wehmut, aber auch Erleichterung – vor allem für all die Körperteile, die bereits ab der Festival-Halbzeit beim Anblick eines Kinosessels am liebsten eigenständig die Flucht ergriffen hätten.
Und natürlich die Erinnerung an eine kleine Handvoll Filme, die uns nach all den Stunden in der klimatisierten Finsternis der Kinosäle nicht losgelassen haben, die uns auf ganz besondere Weise berührt, erstaunt, gefesselt und daran erinnert haben, wie wunderbar und facettenreich Kino sein kann. Einer dieser Filme trägt den Titel Beasts of the Southern Wild. Es ist für all die Regisseure des 21. Jahrhunderts reichlich schwer geworden, ein Filmwerk zu erschaffen, das mit seiner Geschichte und viel mehr noch in der Herangehensweise an diese Geschichte ein Publikum noch tatsächlich zu überraschen vermag. Gerade deshalb ist das Langspieldebüt des jungen amerikanischen Filmemachers Benh Zeitlin fast ein kleines Wunder.
Die sechsjährige Hushpuppy, aus deren Sicht Zeitlin seinen Film erzählen lässt, lebt, so wie es scheint, am Ende der Welt. Gemeinsam mit ihrem Vater ist sie Teil einer Hippiegemeinde, deren Mitglieder weit abseits der Zivilisation in „the Bathtub“, einem ständig der Hochwasser-Gefahr ausgesetzten Ort an der Küste Louisianas, ein bescheidenes doch glückliches Dasein führen, umgeben von Wildnis, Tieren und Wasser, in Einklang mit der Natur. Als wäre Hushpuppys Heimatort nicht schon außergewöhnlich genug, verliert sie sich immer wieder in ihrer eigenen fantastischen Welt, spricht mit der abwesenden Mutter, grübelt über das Leben und äußert Kommentare, vor denen selbst die größten Philosophen angesichts dieses herzergreifend kindlich-weisen Verständnisses von der Menschheit und allem was darüber hinausreicht nur den Hut ziehen können.
Doch Hushpuppys unbeschwertes Dasein wird schon bald auf eine harte Probe gestellt, denn der große Sturm, der ihr trügerisches Paradies mit einem Atemzug verschlingen könnte, steht unmittelbar bevor, der Vater leidet unter einer schweren Erkrankung und in der Ferne haben gigantische Ungetüme aus vergangenen Zeiten – ähnlich dem Gmork in Michael Endes Unendlicher Geschichte – längst gierig die Witterung eines ängstlichen Herzens aufgenommen.
Stürme die wüten, als wäre es der über das Land hereingebrochene Weltuntergang. Durch gewaltige Dammwände ausgegrenzte Gemeinschaften, die der Gefahr an der Küste trotzen und lieber den Tod riskieren, als sich aus ihrer Heimat vertreiben zu lassen. Das ist wohl nicht nur Louisianische Realität. Doch Benh Zeitlin legt es in seinem Film keinesfalls darauf an, derartig problematische Zustände authentisch zu dokumentieren. Ganz im Gegenteil. Er entfaltet in Beasts of the Southern Wild ein postapokalyptisches Märchen zwischen herzerwärmender Ausgelassenheit und markerschütternder Bedrohung, dessen nicht-fiktionale Wurzeln so manch einer wohl erst auf den zweiten Blick erkennen mag.
Zeitlin erzählt in fantastischen Bildern, stützt sie mit ergreifendem Soundtrack und verblüfft ganz nebenbei noch mit unfassbar realistischen Auerochsen-Biestern, die er – wohl gemerkt – ganz ohne den Einsatz von digitalen Effekten durch seinen Film jagen lässt. Wirklich zum leuchten beginnt die Leinwand allerdings durch das großartige Spiel einer kleinen Nachwuchs-Darstellerin namens Quvenzhané Wallis, der man vom ersten Moment an hilflos verfallen ist und an die man wohl noch für lange Zeit mit einem Lächeln zurückdenken wird. Beasts of the Southern Wild ist ein magischer und außergewöhnlicher Film, der das Leben feiert – in all seiner Schwere, in all seiner Leichtigkeit.
Regie: Benh Zeitlin, Drehbuch: Lucy Alibar & Benh Zeitlin, Darsteller: Quvenzhané Wallis, Dwight Henry, Lowell Landes, Levy Easterly, Laufzeit: 92 Minuten, gezeigt im Rahmen der Viennale V’12, voraussichtlicher Kinostart: 21. 12. 2012