In ihrem Haus
Filme über Lehrer-Schüler-Beziehungen gibt es mittlerweile zuhauf. Der französische Regisseur Francois Ozon hat aber mit seinem neuen Film „In ihrem Haus“ einen durchdringenden Thriller geschaffen, der vor allem auch die Sicht des Publikums immer wieder reflektiert und man nie sicher die Grenze zwischen Realität und Fiktion ziehen kann…
Germain ist schon lange Pädagoge und versucht seine Begeisterung für Literatur an seine Schüler weiterzugeben – dies allerdings vergebens, denn 16-jährige sind für diese Art von Kunst meist nur schwer zu begeistern. Zu Beginn des Schuljahres gibt er seiner Klasse die Aufgabe einen Essay über ihr letztes Wochenende zu schreiben, doch die Ergebnisse sind mehr als frustrierend. Einzig ein Essay sticht hervor: nämlich jener des introvertierten Claude (Ernst Umhauer). Claude, eigentlich ein Einzelgänger, hat es am Wochenende endlich geschafft in das Haus seines Klassenkollegen Raphael eingeladen zu werden.
Rapha, wie er von allen genannt wird, ist eine Niete in Mathe und braucht von Claude unbedingt Nachhilfe. Claude genießt die Zeit in Raphas zu Hause, vor allem seine Mutter Esther (Emmanuelle Seigner) hat es ihm angetan. Mit einer hohen Beobachtungsgabe und einem extremen Hang zum Voyeurismus gelingt es Claude Germain mittels seines Essays in den Bann zu ziehen. Dieser beschließt dem jungen Talent unter die Arme zu greifen. Auch Germains Frau Jeanne ist zunächst von Claude begeistert. Doch als dieser immer mehr zum Weiterschreiben ermuntert wird, bekommt die Geschichte eine Eigendynamik, die so nie geplant war.
Der französische Regisseur Francois Ozon schafft es mit „In ihrem Haus“ sowohl ein Drama, als auch einen Thriller zu etablieren. Der Film behandelt die unterschiedlichsten Themenkomplexe, wie etwa Voyeurismus, Literatur, Talent, Lehrer-Schüler-Beziehungen, aber auch Beziehungen innerhalb einer Familie, zwischen Freunden und nicht zuletzt auch zwischen Mann und Frau. Nicht nur die Themen, um die sich der Film bewegt, sondern auch das Storytelling sind überzeugend. „In ihrem Haus“ balanciert immer auf dem schmalen Grad zwischen Fiktion und Realität, als Zuschauer kann man sich nie sicher sein, ob man sich gerade in der Geschichte von Claude befindet, oder eben in dem realen Raum des Films. Die Figuren sind zwar allesamt nachvollziehbar, hin und wieder erschließen sich aber nicht immer die Drehmomente und Hintergründe der einzelnen Personen. Vor allem die Nebenfiguren könnten etwas mehr Tiefe vertragen.
Schnitt und Tempo des Films entsprechen dem Thema und überzeugen in der Umsetzung. Vor allem der Schluss auf der Parkbank mit dem voyeuristischen Blick auf einen gesamten Wohnkomplex ist gelungen und erinnert nicht zuletzt ein bisschen an „Rear Window“ von Alfred Hitchcock. Vor allem die schauspielerische Leistung von Ernst Umhauer in der Rolle des Claude verdient Respekt. Er schafft es sowohl einen introvertierten Charakter plausibel darzustellen, als auch die Verletzlichkeit und Boshaftigkeit überzeugend auf die Leinwand zu bringen.
Alles in allem ist „In ihrem Haus“ ein spannender Film, der sich nicht nur mit dem Thema „Voyeurismus“, sondern mit vielen anderen Nebenthemen beschäftigt, ohne dabei auf den Zuschauer zu vergessen. Die Handlung läuft zwar chronologisch ab, verweist aber immer wieder auf zwei unterschiedliche Geschichten, jene der realen Welt und jene der Welt von Claude. Wer also Lust hat sich eine Lehrer-Schüler-Beziehung der besonderen Art anzusehen und dabei nicht auf Spannung und Überraschungen verzichten will, der wird von „In ihrem Haus“ sicher nicht enttäuscht werden.
Regie: Francois Ozon, Drehbuch: Juan Mayorga und Francois Ozon, Darsteller: Frabrice Luchini, Ernst Umhauer, Kristin Scott Thomas, Emmanuelle Seigner, Catherine Davenier, Laufzeit: 102 Minuten, Filmstart: 30.11.2012