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Untitled

Mit Untitled von Michael Glawogger und Monika Willi eröffnete am Dienstag die Diagonale in Graz. Wie die programmatische Rede der Intendanten ist der Film eine Ode an die Neugier, die mit Abenteuerdrang gegen den bedrohlichen Zeitgeist antritt und dem bei den Dreharbeiten verstorbenen Ausnahmeregisseur Glawogger ein Denkmal setzt.

Der Kunst- und Kulturbetrieb sei abgehoben, reproduziere nur noch sich selbst und die Welt ergäbe sich zu leichtfertig dumpfem Populismus, gaben sich Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber widerständig und schlugen mit Hansi Langs Austropophit Keine Angst gleich ein Gegenmittel vor. Auch Michael Glawoggers Filmschaffen ist ein probates Gegengift, war er doch einer der großen Ruhelosen, die auf der Suche nach der Wahrheit nicht vor dem Blick in Abgründe zurückschrecken, um dort schließlich Schönheit zu finden. Keine makellose Schönheit, keine feierlich erbauende Schönheit, dafür jene beklemmende Anmut des kreatürlichen Daseins, das aus kapitalistischer Sicht häufig allzu leichtfertig nicht als Leben, sondern Überleben bezeichnet wird.

Der Film ohne Namen handelt von Menschen ohne Namen, ohne Geschichte, ohne Zukunft, die als austauschbare Geschöpfe die Orte und Landstriche bevölkern, in die das Schicksal sie hineingeworfen hat. Auf einer Reise durch den Balkan, Italien, Nordwest- und Westafrika spannt er einen poetischen Wirklichkeitsraum zwischen notierten Erinnerungen und dem Entdecken von wahrhaftigen Bildern, die keiner weiteren Sprache mehr bedürfen. Die Körperlichkeit, die räumliche Nähe und Verbundenheit der menschlichen (männlichen) Kreatur mit der animalischen symbolisiert eine gewisse Ausweglosigkeit, der sich weder die Gefilmten noch der filmische Blick widersetzen, der sich diese vielmehr hingeben, um in den archaischen Bildern eine gleichermaßen beunruhigende (sic!) wie befreiende Essenz zu finden.

Bei aller Eindringlichkeit bleibt Untitled ein Stückwerk der Annäherung Monika Willis an Michael Glawoggers filmisches Vermächtnis, was dann merklich wird, wenn Bilder, gesprochener Text und Musik nicht ineinander aufgehen, sodass bisweilen die einzelnen Komponenten miteinander um Aufmerksamkeit ringen. Der Film erinnert in dieser Komposition an Werner Herzogs Fata Morgana, der eine teils aberwitzige Halluzination von der Schöpfungsgeschichte bildet, wobei in allem schon dessen Niedergang mitschwingt. Wenn Herzog deutlich mit Inszenierung und Botschaften arbeitete, folgten Glawogger und Willi einer intuitiven Getriebenheit, die eine Zurückgeworfenheit des Menschen auf seine „Natur“ und dabei doch weniger einen Kreislauf des Lebens als eine „Road to Nowhere“ abbildet.

Untitled setzt der zeitgenössischen Abgestumpftheit eine unbequeme, kontinuierliche Bewegung, die nie enden wollende, sich mit jedem Bild nährende und wachsende Neugier entgegen. Ein gelungener Auftakt für eine Diagonale, deren mahnende Aufforderung zu einer „selbstlosen“ Erneuerung des Kunst- und Kulturgedankens und einer offenen, vielfältigen, wertschätzenden Gesellschaft wir selbstverständlich erhört wissen wollen.

Regie: Michael Glawogger, Monika Willi, Drehbuch: Michael Glawogger, Attila Boa, Monika Willi, Erzähler: Fiona Shaw, Filmlänge: 105 Minuten, Eröffnungsfilm der Diagonale 2017




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