Angry Inuk
Zu ihren frühsten Erinnerungen gehört die Robbenjagd mit ihrer Familie, berichtet Alethea Arnaquq-Baril. Zu ihrem Erstaunen musste die junge Aktivistin früh erkennen, dass ihre affirmative Haltung zu diesem Thema nicht selbstverständlich ist.
„Ich begriff ziemlich früh, dass es da draußen Leute gibt, die Robbenjagd nicht mögen.“ Manche mochten das Schlachten von Robben, das zu Beginn der provokanten Doku vorgeführt wird, so wenig, dass sie sich organisierten und 1983 mit öffentlicher Unterstützung ein Importverbot erwirkten. Nicht von allen Robbenprodukten, sondern denen aus unter zwei Wochen alten Jungtieren. Der entscheidende Zusatz wird übergangen und das nicht als einziger relevanter Aspekt. Die steigende Suizidrate unter Inuit in den 90ern sieht die Regisseurin als Alleinschuld von Greenpeace, Peta, Seashepherd & Co.
Eine Ex-Mitarbeiterin des IFAW verspricht sogar, alles zu tun, um ihren Umwelteinsatz wieder gut zu machen. Damit Versace, Hilfiger und Calvin Klein auch in Zukunft Robbenhaut-Fashion anbieten und sich Accessoires wie die einer vorgestellten Robbenfell-Designerin besser verkaufen. Der Dokumentarfilm steuert auf die EU-Abstimmung über ein Verbot in 2009 zu. Trotz einer Twitter-Kampagne mit toten Robben und stolzen Fellträgern (#Sealfie) triumphierten die „riesigen Organisationen mit haufenweise Geld, die falsche Informationen verbreiten.“ Beweise für die angeblichen Lügen und Vetternwirtschaft der NGOs hat Arnaquq-Baril keine. Noch augenfälliger als der Mangel an Transparenz ist der beschränkte Rekurs. Angry Inuk bemüht altbekannte Standardargumente zur Verteidigung brutaler Bräuche.
Es sei Tradition, kulturelle Identität und Lebensgrundlage vieler Menschen – sagen auch Befürworter von Fuchsjagd, Stierkampf und Gänsestopfleber: Das ist Teil unserer Kultur und ihr Außenstehenden versteht die nicht. Ob das Quälen und Töten von Tieren ethisch vertretbar ist, fragt niemand. Ein Jäger verkündet, er lehne es grundsätzlich ab, irgendwelche Pflanzen zu essen. Als einzige Robbenfleisch-Alternativen fallen der Regisseurin Nuggets, Cheez Whiz und Dosenfisch ein. Auf dem Weg zur Gegenkundgebung zu einer Tierschutz-Demo wird mokiert, die Leute äßen ja auch Fleisch aus Massentierhaltung. Heuchelei! Stimmt, das ist verlogen, genauso wie sich als Umweltschützer darzustellen, aber für Jagd, Pelzmode und Fleischkonsum einzutreten – wie es die Filmemacherin und ihre Mitstreiter tun.
Regie und Drehbuch: Alethea Arnaquq-Baril, Filmlänge: 85 Minuten, gezeigt auf der Berlinale 2017