The End
In The End verirrt sich wieder jemand im Wald. Diesmal kein Ornithologe, sondern ein Jäger in der beleibten Gestalt von Gérard Depardieu.
Der namenlose Jäger macht sich routiniert mit seinem Hund Yoshi auf den Weg in den Wald. Alles verläuft eigentlich wie gehabt. Er wandert durch die Gegend, gönnt seinem fülligen Körper eine Pause und raucht und trinkt einen Schluck Saft, während der Hund durch den Wald tollt. Doch plötzlich ist Yoshi weg und der Jäger kennt sich nicht mehr aus, weiß nicht mehr wo er ist, er dringt in eine fremde Gegend vor. Die modernen Insignien der Zivilisation wie sein Handy oder das Mittel zur Gewalt in Form seines Gewehres erweisen sich als unnütz oder verschwinden überhaupt zur Gänze. Ihm bleibt nichts anderes übrig als im Wald zu übernachten. Dass er aber nicht alleine ist, merkt er schon am nächsten Tag. Schreie hallen durch die Baumreihen, doch auf Hilfe kann er nicht hoffen.
Als erstes fällt die imposante, schwergewichtige Statur Depardieus auf, der den Jäger als leicht melancholische, einsame Figur darstellt, dessen einzige Gesellschaft gegen die Einsamkeit sein geliebter Hund Yoshi ist. Überhaupt bewegt er sich so schwerfällig und laut durch den Wald, dass Zweifel aufkommen, wie er je ein Tier erlegen will. Gleichzeitig spürt man aber, dass unter seiner Oberfläche etwas Drohendes schlummert, eine versteckte Gewalt, die im Verlauf beinahe mit seiner Umgebung verschmilzt und ihn zu so etwas wie einer behäbigen Naturgewalt werden lässt, einem Erdbeben, das nur auf den Ausbruch wartet. Man könnte jetzt in seinen geschundenen, aufgedunsenen Körper auch den Umgang der Menschen mit der Natur interpretieren, doch der weitere Handlungsverlauf scheint etwas anderes auszudrücken.
Doch was das genau ist, bleibt überaus fraglich und unklar. Überhaupt wirft The End, der wohl am ehesten als Psychogramm eines (vielleicht gestörten) Menschen gesehen werden kann, mehr Fragen auf, als er Antworten gibt. Der Schluss kann einen schon verständnislos zurücklassen und das gesamte Ausmaß der Geschichte (oder gar Tragödie) ist daher nur zu erahnen. Der junge Bursche, der dem Jäger nicht helfen will und ihm einerseits die Frage stellt, wieso er Jäger ist, andererseits aber auch ohne mit der Wimper zu zucken gesteht, eine Kuh getötet zu haben. Die nackte Frau, die plötzlich vor dem Jäger steht und sich ihm anschließt, wirft die Frage auf, ob der Mann nicht nur Teil der Natur, sondern gar zur Bestie mutiert.
Ist der Jäger am Ende gar der eigentliche Antagonist und der Wald seine ewige Strafe? Oder sind es bloß die letzten, wirren Gedanken eines vereinsamten Mannes, kurz vor seinem Tod? Und was bedeuten die Skorpione in einem französischen Wald? Fragen, die der Film nicht beantwortet und genug Spielraum für Interpretationen bieten. Um The End besser verstehen zu können, kommt man um eine zweite Sichtung fast nicht herum. Was auch nicht weiter störend ist, denn Regisseur und Drehbuchautor Guillaume Nicloux gelingt es trotz marginaler Handlung eine spannende Geschichte und unheimliche Atmosphäre aufzubauen, die beinahe den ganzen Film über gehalten wird.
Wer mit Filmen, die nicht alle ihre Fragen beantworten – oder im Grunde fast gar nichts beantworten – nichts anfangen kann, der sollte The End lieber meiden. Es sei denn, man gibt sich damit zufrieden Gérard Depardieu in schauspielerischer Höchstform zu erleben, denn so gut wie in The End hat man ihn schon seit langem nicht mehr gesehen.
Regie und Drehbuch: Guillaume Nicloux, Darsteller: Gérard Depardieu, Audrey Bonnet, Swann Arlaud, Xavier Beauvois, Filmlänge: 85 Minuten, gezeigt im Rahmen der Viennale V’16