Victor Frankenstein
Paul McGuigans Victor Frankenstein versucht ein vollkommen neues Licht auf Mary Shelleys Romanfigur zu werfen. Gedacht war der Film wohl als Prequel zu Shelleys Buch, dafür weicht er jedoch viel zu sehr von der Romanvorlage ab.
Erzählt aus Igors (Daniel Radcliffe) Perspektive zeigt Victor Frankenstein einen zunächst namenlosen Buckeligen, der in einem Zirkus als Clown Unterschlupf gefunden hat. Der junge Victor Frankenstein (James McAvoy) entdeckt seinen späteren Assisstenten, als im Zirkus ein Unfall passiert und der buckelige Clown sich als geheimes medizinisches Genie erweist. Frankenstein sieht die Möglichkeiten, die die beiden zusammen hätten und befreit Igor aus den Fängen des Zirkusdirektors. Durch eine kurze Operation heilt er Igor von seinem Buckel, der eigentich ein riesiger Abszess ist und verschafft ihm dadurch ein vollkommen neues Leben. Nach und nach offenbart Frankenstein seinem neuen Assisstenten und Mitbewohner seinen Plan aus dem Tod wieder Leben zu erschaffen.
Victor Frankenstein zeigt keinen einsamen, alten Wissenschaftler, der an einem abgelegenen Ort seine ethisch nicht ganz einwandfreien Experimente durchführt, wie wir ihn aus Mary Shelleys Roman und zahlreichen Adaptionen kennen. Vielmehr ist der Doktor in McGuigans Film gespielt von James McAvoy noch gar kein Doktor, sondern ein Medizinstudent, der gerade erst in den Anfängen seiner Forschung steckt. Auch Igor bekommt eine völlig neue Bedeutung. Er ist kein dummer, verkrüppelter Diener, sondern ein medizinisches Genie, ohne das Frankensteins Monster nie zum Leben erwacht wäre.
Victor Frankenstein spielt in London um die Zeit der industriellen Revolution. Die schmutzigen Straßen, die zunehmend wichtiger werdenden Maschinen und die von Kohlestaub verdreckte Luft verleihen dem Film einen düsteren Gesamteindruck, der sich durchwegs gut in die Handlung einfügt. Streckenweise wirkt die Inszenierung, Kameraführung und der Schnitt so, als wollten die Filmemacher aus Victor Frankenstein einen Guy Richtie-artigen Sherlock Holmes machen. Dies wirkt aber immer halbherzig und gelingt daher leider auf keiner Ebene.
Auch der Versuch die Handlung des Films mit zwei Subplots zu bereichern, ging vollkommen danben. Sowohl die Liebesbeziehung zwischen Igor und Lorelei (Jessica Brown Findlay), als auch Frankensteins wohlhabender Mitstudent, der Interesse an seiner Forschung zeigt, bleiben durchwegs sinnlos und haben beinahe keinen Einfluss auf die Haupthandlung. Letzterer Subplot dient lediglich dazu um die Handlung für den großen Showdown von London an einen viel düstereren und geheimnisvolleren Ort verlagern zu können. Doch auch die Haupthandlung lässt einige Wünsche offen. Viele Hintergründe bleiben unerklärt, beispielsweise Igors mysteriöse Medizinkenntnisse. Frankensteins Hintergrund und seine Beweggründe Leben zu erschaffen werden zwar erklärt, wirken aber unglaubwürdig.
Die schauspielerische Leistung der beiden Hauptdarsteller ist über weite Strecken sehr überzeugend. McAvoy übertreibt in seiner Interpretation des Wissenschaftlers zwischen Genie und Wahnsinn zwar teilweise, porträtiert Frankenstein sonst aber sehr gut, als abgehobenen Mediziner, der seiner Zeit viele Jahrzehnte voraus ist. Auch Daniel Radcliffe ist in seiner Rolle als bodenständiger Assisstent und loyaler Freund sehr gut, lediglich den Liebhaber der wunderschönen Artistin Lorelei nimmt man ihm nicht ab. Wer sich jedoch von Victor Frankenstein eine Horrorgeschichte erwartet, wie Mary Shelley sie geschaffen hat, wird enttäuscht sein. Denn der Film erzählt eher die Geischte einer ungewöhnlichen Freundschaft und wie weit die beiden bereit sind dafür zu gehen.
Regie: Paul McGuigan, Drehbuch: Max Landis, Darsteller: James McAvoy, Daniel Radcliffe, Andrew Scott, Jessica Brown Findlay, Bronson Webb, Laufzeit: 110 Minuten, DVD/Blu-Ray Release: 22.09.2016