So finster die Nacht
Ikea, Astrid Lindgren, Knäckebrot, Abba und Ingmar Bergman: erste Gedanken bei der Erwähnung von schwedischen Spezialitäten. Mit seinem Buchbestseller Låt den rätte komma in schuf der Autor John Ajvide Lindqvist einen weiteren erwähnenswerten Eintrag, der es sich eine Platz unter den genannten Errungenschaften verdient hätte.
Ausgehend von dieser Vorlage schuf Lindqvist zudem auch gleich das Drehbuch bzw. die Adaption seines eigenen Romans für Tomas Alfredsons Verfilmung, die hierzulande unter dem Titel So finster die Nacht (engl. Let the Right One In) anläuft.Der britische Sänger und leidenschaftliche Fatalist Morrissey bzw. dessen Song Let the Right on Slip In (Auszug: “Let the right one in, Let the old things fade, Put the tricks and schemes for good away”) gilt als Grundlage für den anfangs etwas unzugänglichen anmutenden englischen Titel, hinter dem sich allerdings eine überaus atmosphärische und mitreißende Geschichte versteckt.
Ein anonymer, verschneiter Vorort von Stockholm im Jahre 1982: Oskar (Kåre Hedebrant), ein bleiches und untersetztes Einzelkind, hegt gewalttätige Rachegelüste gegen seine ihn schikanierenden Klassenkameraden. Die Tatsache, dass seine Eltern geschieden sind, sein Vater ein zwar liebevoller, allerdings dem Alkohol ausgelieferter Charakter ist und seine Mutter wenig bis keine Zeit für ihn opfert, lässt Oskars bisher noch unterdrückte Gewaltfantasien immer weiter aufblühen. Als eines Nachts die mysteriöse Eli (Lina Leandersson) und ihr vermeintlicher Vater Hakan (Per Ragnar) die Nebenwohnung beziehen, scheint Oskar eine neue, wenn auch anfangs unterkühlte und vorsichtige Bekanntschaft zu machen. Doch zusammen mit der Ankunft der beiden menschenscheuen Nachbarn folgt eine brutale Mordserie in der unmittelbaren Umgebung, die in weiterer Folge auf das seltsame Verhalten von Eli zurückzuführen ist…
Auch wenn die Tatsache, das beide Hauptdarsteller des Films noch Kinder sind, für einige potentielle Zuseher eine begründete Abwendung hinsichtlich eines etwaigen Kinobesuchs sein könnten, so sollte man dennoch nicht vorschnell handeln und Let the Right One In eine Chance geben. Schnell wird nämlich bewusst, dass es sich hierbei nicht um eine niedliche und herzallerliebste Disneyverfilmung handelt, sondern um einen lakonischen und dramatischen Horror-Thriller, der sich abseits des Mainstreams (wie etwas dem jüngst erschienenen Twilight) der Kategorie des Vampirfilms unterwirft.
Unterwerfen deshalb, weil sein Hauptaugenmerk nicht ausschließlich auf den Vampirismus innerhalb der Rahmenhandlung liegt, sondern vielmehr auf dem komplizierten Wechselspiel der beiden Hauptdarsteller Oskar und Eli: Während der eine mit seinem Schicksal als ewig vernachlässigter Prügelknabe ringt, muss der andere Protagonist mit seinem Leben in der ständigen gesellschaftlichen Unsichtbarkeit umzugehen wissen. Dies ist zugleich auch der Schnittpunkt beider Charaktere: Das gesellschaftliche Abseits stellt eine gemeinsame Bürde dar, während das Buhlen um Zuwendung für beide eine Notwendigkeit bedeutet, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven.
Ein Spiel mit den inneren Dämonen, die vom Ausbruch abgehalten werden, entsteht innerhalb der Rahmenhandlung und die verschneiten Suburbs von Stockholm erweisen sich mit ihren menschenleeren Straßen und bieder-modernen Setting als perfekte, weil dadurch realistische und gleichermaßen bedrohliche Location. Auch der nette Verweis darauf, dass der Titel Let the Right One In nicht nur im erwähnten Song von Morrissey seinen Ursprung findet, sondern weitergehend auch von der Tatsache kommt, das innerhalb der Vampirmythologie das Einlassen eines Untoten nur mit der Einwilligung des Bewohners möglich ist, lässt die vielen kleinen aber nicht unbedeutenden Details innerhalb der visuellen und dramaturgischen Darstellung hervorstechen – die mehrdeutigen Auslegungen gegen Ende des Films bleiben hier natürlich unerwähnt.
Bemerkenswert erweisen sich vor allem die herausragenden schauspielerischen Leistungen beider Hauptdarsteller: Schon die einleitende Taxi Driver-Hommage von Kåre Hedebrant verrät seine kommende brillante Darstellung, die nur durch die ebenso eindrucksvolle Leistung von Lina Leandersson überflügelt wird. Das ambivalente Verhalten des (körperlich) jungen Blutsaugers, das zugleich Bedrohung, Einsamkeit und Verletzlichkeit ausdrückt, stellt Leandersson mit nachhaltiger Überzeugungskraft dar.
Schon mal einen Film auf Schwedisch gesehen und in den ungewöhnten Klängen dieser seltsam anmutenden Sprache versunken? Wenn nicht, ist die OmU-Fassung von Let the Right One In die beste Gelegenheit dazu. Sowohl Freunden des Vampir-Genres als auch Fans von atmosphärischen Horror-Thrillern ist Let the Right One In bedenkenlos zu empfehlen, da der Film beide Seiten mit Bravour bedient und den gewagten Spagat zwischen ernstzunehmender Fiktion und fantastischem Realismus mit Leichtigkeit zu absolvieren vermag. Dennoch ist Vorsicht geboten: Hierbei handelt es sich nicht um eine Spielart des Vampirgenres a la Twilight (also keine glitzernden Schönmenschen mit bedeutungsschwangeren Blicken während Baseballspielen vorhanden) oder den Blade-Teilen (kein Hauptaugenmerk auf stylische Aktion), sondern um einen eher zum Nachdenken anregenden, eleganten Film ohne unnötigen Ballast, der zum Mitfrösteln einlädt.
Regie: Tomas Alfredson, Drehbuch: John Ajvide Lindqvist, Darsteller: Kåre Hedebrant, Lina Leandersson, Per Ragnar, Filmlänge: 115 Minuten, DVD/Blu-Ray Release: 20.05.2009