FKA Twigs – LP1
FKA Twigs hat endlich ihren Debüt Langspieler präsentiert! Aber sollte man sie nicht lieber „The singer formerly known as Twigs“ nennen, wofür FKA ja zum Teil steht?
Diesen Streit um den Namen Twigs gab es nämlich wirklich. Sie hat ihn offensichtlich nicht gewonnen, lässt sich aber nicht von solch einer Sache kleinkriegen. Jetzt könnte man ihr diesbezüglich natürlich eine Identitätskrise unterstellen, die dieses Album wie ein mythologischer Dornenbusch umrandet. Schließlich findet sich sogar ein Song namens Video Girl auf dieser zehn Tracks umfassenden Platte. Und dieses Lied wiederum behandelt ihre Vergangenheit, als sie nicht nur in Musikclips zu sehen, sondern auch als Model tätig war. Diese Zeile spricht dementsprechend Bände: „Is she the girl from the videos? You lie and you lie and you lie.“ Man möchte fast weiter graben und nach Hinweisen auf die „echte“ Twigs suchen, doch da ist eben dieser Dornenbusch, der einen schön auf Distanz hält. Könnte man meinen.
Man kann aber auch einen kühlen Kopf bewahren und diese Künstlerin, sowie ihr Werk als das sehen was es ist: Gute Musik mit noch besserer Selbstvermarktung. Man hat es hier mit einer Frau zu tun, die nicht erst seit gestern in diesem Business ist, wenn auch noch nicht so lange musikalisch tätig. Sie kennt also die Leute und weiß, dass ein bisschen Mysterium nicht schadet und auch ein distinktiver persönlicher Stil kann weiterbringen. Außerdem hat sie schon bei ihren zwei EPs auf ein gutes Pferd gesetzt: Audiovisualität. Zu jedem einzelnen Track gab es ein Video und selbst wenn einem der Song nicht gefiel, blieben die Bilder in Erinnerung.
An ihrem Debütalbum „LP1“ merkt man nun auch die musikalischen Veränderungen stark. Es ist fast so, als ob man bei ihrer Diskographie in einen dichten Nebel blickt: Je weiter zurück die Musik liegt, desto unstrukturierter, unklarer und eklektizistischer ist sie. Mit LP1 ist sie aus diesem Nebel herausgetreten und zeigt, dass auch sie weiß was eine Songstruktur ist. Trotzdem hat man bei jedem einzelnen Song das Gefühl man würde ein Mosaik betrachten. Der Gesamteindruck ist eindeutig, aber es tauchen immer wieder Stückchen auf, die farblich und atmosphärisch nicht wirklich dazu passen. Ein gutes Beispiel dafür ist Closer. Der Song eröffnet nicht nur mit einer treibenden Synthie-Melodie, sondern mit kirchlich angehauchtem Chorgesang. Im Refrain wird das Sakrale von einer E-Gitarre ersetzt. Außerdem tauchen immer wieder stark verzerrte Chipmunk-Stimmen, Vocal-Loops und Synthie-Glockenspiele auf. So wie diese Elemente beim Niederschreiben schon komisch nebeneinander aussehen, sollten sie mindestens ebenso komisch auf der Platte klingen. Tun sie aber nicht.
Diese Vielseitigkeit ist nämlich die Stärke, aber auch Schwäche der Künstlerin. FKA Twigs schafft es sich von Track zu Track zu hangeln und unmögliche Effekte zusammenzuschweißen, ohne, dass es lächerlich und gewollt wirkt. Gelichzeitig ist es fast unmöglich auch nur einen dieser Songs im Kopf zu behalten. Bei der ersten Single Two Weeks hat es bei der Autorin sage und schreibe drei Tage konstante Wiederholung gebraucht um mitsummen zu können. Dabei ist „Two Weeks“ durch seine Langsamkeit und der kontinuierlichen Steigerung der Atmosphäre eigentlich eingänglich. Auch die Lyrics, die zwar nicht sehr anspruchsvoll, aber durchaus cool sind, sollte man sich schnell merken können. Trotzdem geht diese Musik bei einem Ohr rein, bei dem anderen raus und hinterlässt vielleicht ein melancholisches Nachgefühl. Dies liegt daran, dass durch die starken Tempo- und Kontrastwechsel von Stimme, Melodie und Atmosphäre ein konstantes Zuhören gefragt ist. LP1 ist aber durchaus ein „Grower“, denn es liegen hier einige Perlen verborgen.
Neben Two Weeks ist auch der Abschlusssong Kicks ein Highlight auf diesem Album. Die Stimme der Künstlerin steht unmittelbar im Vordergrund. Ihre Vocalperformance ist großartig, denn sie zeigt hier nach neun Songs eine komplett andere Facette von sich. Der Song ist stark inspiriert von Trip-Hop und R’n’B der 1990er, doch trotzdem kann man nicht wirklich sagen, was hier musikalisch alles passiert. Dafür ist die Stimme zu dominant und die Vocalmelodie zu abwechslungsreich. Weitere sehr ähnliche Songs sind oben genanntes Video Girl mit einem sehr zugänglichen Refrain, Give Up mit Synthie Akkorde und „Lights On“, das R’n’B-Legende Aaliyah mit einem Kontrabass in Verbindung bringt.
FKA Twigs bringt auf ihrem Debüt eine überschauliche Menge an Einflüssen, aber einen ganzen Koffer voller komischer, unrunder und kreativer Effekte mit. Fast könnte man sagen, sie belebt das Genre Trip Hop nicht nur neu, sondern konvertiert es für das neue Jahrhundert. Trotzdem ist das Album stimmungstechnisch so homogen, dass glücklich gestimmte ZuhörerInnen leicht die Lust an dieser Melancholie verlieren können. Doch wenn man LP1 zur richtigen Zeit, am richtigen Ort eine wahre Chance gibt, wird man immer wieder dazu zurückkehren.
FKA Twigs – LP1, Young Turks / XL-Recordings / Beggars Group