Popfest 2013: Wien vier Tage im Zeichen der Musik
In den bisher heißesten vier Tagen des Jahres verbeißt sich die österreichische Underground-Musik-Kultur in den Karlsplatz samt Umgebung und zeigt Wien im Rahmen des mittlerweile vierten Popfestes, dass Musik aus dem Randbereich des Mainstreams durchaus für eine größere Hörerschaft geeignet ist…
Auch wenn der Eröffnungstag mit Bauchklang der bei weitem am stärksten besuchte war, boten die darauffolgenden drei Tage ein ebenso stark gemischtes wie auch interessantes Publikum, das einer reichen und vor allem bunten Palette an Künstlern und Musik-Schaffenden lauschte. Eine gewisse Ambition von Seiten der Veranstalter ist hier schon zu bemerken, wenn sich aus dem Festivalprogramm eine starke Abwechslung herauslesen lässt. Der breite Bogen zwischen Rock, Surf-Trash, Indie, Electro bis hin zu Jazz und Avantgarde wird hier aufgespannt und auf vier Tage mit je vier bis fünf Locations aufgeteilt.
Während die Seebühne am ersten Festival-Tag mit den Steaming Satellites eröffnet wird, versammeln sich die Fans recht zielgerecht vor der Bühne, während Passanten und andere „Herumtreiber“, die der Zufall an das Ufer des Karlsplatz-Sees gespült hat, der Musik vom Abseits aus lauschen. Bandformationen wie die Steaming Satellites schaffen es dabei, die gesamte Bandbreite, die das Genre „Rock“ zu bieten hat, in ein geschlossenes Konzept zu packen, das auch funktioniert. Mit einer Stimme, die sich irgendwo zwischen einem jungen Joe Cocker und einem Caleb Followill bewegt, lockt die Band die übrigen Besucher aus dem Abseits vor die Bühne. Mit dem raschen Anwachsen der Publikumsmasse folgt mit Bauchklang – zumindest was die Besucherzahl betrifft – eines der Festivals-Highlights. Dicht gedrängt und weitläufig bahnt man sich hier seine Wege durch die Massen.
Auch die Indoor-Locations des Popfestes sind recht schnell überfüllt. Mit Francis International Airport, die bereits mit dem Album In the Woods eine erfolgreiche Zeit für ihren Sound eingeläutet und diese mit ihrem aktuellen Album Cache (hier geht es zur Kritik) verlängert haben, startet das Programm im Brut. Und weil Bilderbuch mit ihrer neuen Single Plansch fürs erste nur im digitalen Bereich wieder für Aufsehen sorgen, geht man hier taktisch vor und trägt den Track auch gleich live als Überraschungsact an das Popfest-Publikum heran. An den folgenden drei Tagen bleibt das Programm, auch wenn die Besucherzahlen nicht mehr ganz an den Eröffnungstag herankommen, abwechslungsreich. Denn hier macht sich dann doch der Faktor der Nachhaltigkeit und des Bekanntheitsgrades bemerkbar. Während mit Bauchklang ein Act auf die Popfest-Bühne geholt wurde, der sein Publikum bereits seit 17 Jahren formt, aufbaut und begeistert, ist es verständlich, wenn Bands wie Giantree, Catastrophe & Cure, Soia oder Gin Ga – also Formationen mit einer jüngeren Bandhistorie – weniger Publikum an die vorderste Front ihrer Bühnen locken.
Während auf der Open-Air Bühne durchaus Acts der ersten Indie-Garde aufspielen, wird im Prechtlsaal oder im Brut auch rares und unbekanntes Programm geboten, das schrittweise stark in eine Avantgarde oder aber auch Trash-Richtung wandert. Elektronische Acts oder Surf-, sowie Stoner- und Progressive Rock werden hier abgedeckt, wenn man im Programmheft von Musik-Formationen wie Gudrun von Laxenburg, Milk+, Wild Evel and the Trashbones, Monobrother, dem Veteran Bernhard Schnur, Sex Jams oder Sado Maso Guitar Club liest. Vor Ort sind die Konzerte fast durch die Bank gut besucht und jeder Künstler schafft es auch für sich allein, ein breites Publikum zu halten. Mit dem Wien Museum findet sich ein weiterer Floor, der für Singer-Song-Writer und ruhige Musikrichtungen reserviert ist. Mit der Formation Müssig Gang bringt der Rapper Skero das alte Wiener Lied und einen Hauch Qualtinger zurück. Dawa hingegen bringen eine Mischung aus altem Südstaaten-Country-Blues und Folk in das Festivalprogramm.
Besonders speziell gestalten sich die Konzerte von Klang-Künstler Ritornell oder Bunny Lake Frontfrau O, die am Sonntag Abend abschließend in der Karlskirche auftreten. Eine neue Location, die einen festgefrorenen, zweckgebundenen Raum neu definiert und so eine spezielle Konzert-Atmosphäre für ein weiteres Festival-Highlight schafft.
Abseits der ganzen Live-Acts finden im Rahmen des Popfestes am Samstag und Sonntag die sogenannten Popfest-Sessions statt. Hier wird über Themengebiete der Musik- und Kunstlandschaft diskutiert. Während mit Gästen wie dem Filmemacher Stefan Ruzowitzky über die Wirkung österreichischer Popmusik in Film & Fernsehen gesprochen wird, stellt Walter Gröbchen mit seinen Autoren-Partnern das kürzlich im Falter-Verlag erschienene Buch „Wienpop“ vor. Zahlreiche Anekdoten, Interviews und Berichte aus dem Musik-Bereich der letzten 50 Jahre sind hier zu finden. Weitere Themen der Popfest-Sessions sind die immer häufiger verwendete Finanzierungsmethode des Crowdfunding oder das Verschmelzen und Durchbrechen von musikalischen Genre-Grenzen. Aufgefrischt wird das Ganze mit Live-Acts wie Plaided oder Snoww Crystal, die in den Pausen für Abwechslung sorgen.
Das gesamte Popfest wirft hier als Kulturphänomen, im Vergleich zu einem Donauinselfest oder anderen Gratis-Veranstaltungen, eine grundlegende Frage auf: Was braucht es, um ein Publikum und eine Hörerschaft großzuziehen? Natürlich ist es belanglos, welche Form von Musik von welchem Publikum gehört wird, solange diese auch ihren Platz im vielfältigen Äther findet. Im Rahmen einer postulierten Kultur-Kritik ist es allerdings stets der Fall, das gerade Randphänomene und junge Kunst des öfteren kritischer, komplexer und vom Inhaltlichen aus betrachtet meist auch gehaltvoller sind als die breite Basis einer Masse. Nun könnte man meinen, dass ein unterschiedliches Publikum nur vor Ort ist, weil das Popfest im Zentrum der Stadt, gratis und an einem wichtigen Verkehrspunkt abgehalten wird. Doch bei einem Publikumsbogen, der von Fünfjährigen bis hin zu Pensionisten reicht, ist bei genauerem Hinsehen zu erkennen, das der sperrige, komplexe Rock der Steaming Satellites, eine Indie-Formation wie Giantree oder der junge Jazz von Soia die Ohren und auch die Füße dieser Menschen begeistern können.
Was die häufig diskutierte Frage eines Mainstream-Publikums, das nach Banalem verlangt, durchaus relativiert. Denn im Rahmen dieser Diskussion putzen sich sowohl Radio- als auch Fernsehsender beim Publikum ab, wenn behauptet wird, dass seichte Formen einer Kultur nur deshalb produziert werden, weil von Seiten des Publikums danach geschrien wird. Hier die Schuld alleinig auf das Publikum zu schieben, ist, wie das Popfest zeigt, falsch. Denn das Programm dieses Festivals ist zwar abwechslungsreich und bunt, aber entspringt letztendlich durchgehend dem Underground oder anderen Phänomenen, deren Zuhause bei weitem nicht im Easy-Listening und Mainstream liegen. Trotzdem wird es von einem breiten und massigen Publikum angenommen, das abseits des Popfestes eher seltener Konzerte solcher Musikrichtungen vorgesetzt bekommt. Das Popfest zeigt hier wiedermal nur zu gut, dass es Kunst und Kultur abseits der Masse trotzdem schafft, eben jene Masse zu begeistern. Frei nach dem Spruch: Wenn der Berg nicht zum Propheten kommen will, dann muss der Prophet zum Berg kommen. Was nicht heißen soll, dass Mainstream im Vergleich zu anderen Formen falsch oder schlechter ist, sondern schlicht anders betrachtet wird. Es zeigt lediglich, dass die Behauptung, die Masse akzeptiere nur eine für die Masse produzierte Kultur und Kunst, falsch ist – und so verhält es sich auch mit der Musik und dem Programm des Popfestes, das damit einen fixen und wichtigen Platz in der Wiener Veranstaltungskultur verdient hat, weil hier Vielfalt, Randgruppierungen und Alternativen gefördert und unter die Menschen gebracht werden.