Interview mit Arash T. Riahi
Der Dokumentarfilm Nerven Bruch Zusammen (zur Kritik) von Arash T. Riahi lief letztes Jahr auf der Diagonale und war der Eröffnungsfilm des Festivals „this human world“. Am 1. März startet er im Kino. Pressplay hat mit dem Regisseur u. a. über seinen Film, menschliche Nähe und seine Arbeit an einer Plattform für gewaltlosen Widerstand gesprochen.
Nerven Bruch Zusammen – das ist ein außergewöhnlicher Titel, aber auch einer, der mehr sagt als Nervenzusammenbruch, mir scheint auch etwas Positiveres. Wie kam es zu dem Titel?
Es war eine lange Geschichte. Zuerst hat der Film Alles wird nicht gut geheißen, aber dann habe ich gemerkt, dass das nicht ausdrückt, worum es mir in dem Film gegangen ist und was mich fasziniert hat, die positive Energie, die irgendwo in uns drinsteckt, die uns ermöglicht zu überleben und diese Frauen, die teilweise die ärgsten Sachen erlebt haben, Dinge, die man sich nicht einmal vorstellen kann oder will, dass diese Frauen es dann irgendwann schaffen, wenn man zusammenhält, wenn man ihnen ein Netz gibt und man ihnen zeigt, dass es auch Menschen gibt, die für sie da sind. Diese Kraft wollte ich spürbar machen und dann war für mich klar, dass der ursprüngliche Titel nicht passt. Es gibt eine Protagonistin im Film, Rula, die aus Syrien ist. Ihr Deutsch ist nicht so gut, aber daraus entstehen großartige Wortkreationen, weil das eine poetische Art des Umgangs mit der Sprache generiert. Und das war eine dieser Kombinationen: „Ich hab‘ Nervenbruchzusammen gehabt“ oder „Er hat angerufen und Telefonblödsinn gemacht“. Darin steckt Poesie und auch ein Rätsel.
Sie haben im Haus Miriam Ihren Zivildienst absolviert und schon damals gefilmt?
Ja, ich habe nach ein paar Monaten angefangen, nach Rücksprache mit der Heimleitung und den Frauen, die das freiwillig wollten. Die Verbindung hat mir die Möglichkeit gegeben, einen einzigartigen Einblick gewähren zu können, in dieses Haus und auf die Frauen, die man normalerweise nicht sehen kann. Es gibt Reportagen, wo jemand dort sitzt und seine traurige Geschichte erzählt, aber selten welche, wo man spürt, wie die Menschen sind. Ich wollte auch keinen spektakulären Film machen, keinen sozialpornografischen, sondern eigentlich einen feinen, leisen Film.
Es ist erstaunlich, man hat nicht den Eindruck, dass die Frauen von der Kamera irritiert wären, auch nicht, dass sie sich verstellen oder eine Rolle spielen. Wie haben Sie das gemacht?
Es ist so, dass mir Nähe ganz wichtig ist. Ich verbringe Jahre meines Lebens um so einen Film zu machen und ich möchte den Menschen nahe sein, anders als vielleicht jemand, der einem Obdachlosen beim Vorbeigehen ein paar Groschen gibt. Ich denke mir, man muss sich zu ihm setzen und hören, was mit ihm ist. Ich habe keine Angst vor dieser Nähe, ich passe zwar auf, dass ich ihm nicht zu nahe trete. Mein Weg ist absolutes Vertrauen. Ich versuche den Menschen klarzumachen: „Ich möchte einen Film mit euch machen und nicht über euch.“ Ich habe den Frauen gesagt: „Benützt mich, so wie ihr mir etwas gibt, will ich euch auch etwas geben.“
Viele der Frauen haben psychische oder körperliche Gewalt durch Männer erlebt. War es für Sie, als Mann, nicht sehr schwierig Vertrauen herzustellen?
Es war gar nicht so schwierig. Natürlich gab es auch Frauen, die etwas skeptisch waren, aber nachdem sie gesehen haben, dass ich immer wieder komme, am Sonntag, in der Nacht, dass ich nicht aufgebe, haben sie gespürt, dass ich wirklich an ihnen interessiert bin. Ich habe bei dem Film selbst die Hauptkamera gemacht, damit ich auch da flexibel bin und es nicht darum geht, wie viel Geld wir in der Kalkulation eingeplant haben, sondern darum, wann es nötig ist zu drehen. Das spüren die Menschen. Es ist immer so, wenn die Menschen merken, dass du nicht ihre Geschichte ausbeuten willst und dir Zeit nimmst ihnen zuzuhören, öffnen sie sich.
Es ist auch für die Zuschauer so, dass eine Beziehung zu den Protagonistinnen aufgebaut wird. Für Sie muss diese Erfahrung noch viel intensiver gewesen sein. Wie sind Sie mit der großen Emotionalität umgegangen? Wie baut man sie wieder ab?
Es ist immer wieder schwierig das abzubauen. Natürlich erzeugt die Tatsache, dass ich jetzt nicht mehr dort drehe, eine gewisse Distanz zwischen uns, aber ich bin immer noch befreundet mit den Frauen. Ich mag die Frauen und sie spüren das auch und ich glaube, das kommt auch im Film rüber.
Das merkt man auch daran, dass das, was den Frauen passiert ist, nur angedeutet wird. Ich hatte den Eindruck, dass dadurch die Dramatisierung ihres Leides und ihrer Opferrolle entfällt und sich so das Hauptaugenmerk mehr auf das Zusammenleben im Haus legen kann.
Ja, das ist richtig. Es war mir vor allem auch wichtig, dass ich ihnen ihre Würde zurückgeben kann, die sie verloren haben durch das, was ihnen widerfahren ist, durch die Reaktion der Gesellschaft oder die Erfahrung, dass sie in einem Obdachlosenheim wohnen. Ich wollte ihnen auch ihre Geheimnisse lassen, nicht bohren. In dem Film, der über ein Jahr gedreht wurde, spürt man diese Frauen. Zum Beispiel Rula, deren erster Mann ihr die Kinder weggenommen und behauptet hat, sie misshandle die Kinder. Wenn man diesen Film sieht und sieht, wie sie mit dem Kind umgeht, wie sie sich verhält – es ist einfach unvorstellbar. Das heißt, ich habe mir gedacht, ich zeige einfach, was das für Menschen sind. Wenn man alles herausfinden möchte, urteilt man dann irgendwann oder die Zuschauer urteilen und das wollte ich vermeiden.
Rulas Geschichte entwickelt sich dann auch sehr dramatisch. Sie fährt zu ihren Eltern nach Syrien, Sie haben dort gedreht. Wie ist Rulas Familie damit umgegangen?
Sehr positiv. Rulas Familie sieht mich als eine Stütze für Rula, wie einen Bruder. Dadurch dass ich ein geborener Moslem bin, wobei ich kein praktizierender Moslem bin, war es für sie noch eine andere Art der Verbundenheit. Ich wollte auch ein bisschen das Klischee brechen von der Kopftuch tragenden Frau, die nicht Herrin ihrer Entscheidungen ist. Mir wäre es vielleicht lieber gewesen, wenn Rula zuerst ein Kopftuch getragen hätte und jetzt nicht mehr …
Ehrlich gesagt, mir auch, aber dann habe ich mir gedacht, das ist wohl die westliche Sicht …
Ja, das ist ganz wichtig, das wäre unsere westliche Sicht, das wäre unser Wunschdenken. Eine Frau emanzipiert sich und trägt kein Kopftuch mehr. Aber wenn man einen Dokumentarfilm macht, muss man auch bereit sein von der Realität zu lernen. Das ist ein bisschen der Unterschied zum Spielfilm, wo du dein Konzept hast, dein Drehbuch und du minutiös nachstellen willst, wie du es dir vorgestellt hast, wie eine Traumversion. Beim Dokumentarfilm kannst du von der Realität und den Dingen, die passieren, lernen. Am Ende meines Zivildienstes war ich ein anderer Mensch, am Ende dieses Prozesses, in dem ich den Film gemacht habe, war ich ein anderer Mensch. Ich habe andere Ansichten, ich habe selbst mit meinen Vorurteilen zu kämpfen gehabt und sie brechen müssen.
Ihr aktuelles Projekt nennt sich Everyday Rebellion. Worum geht es dabei?
Everyday Rebellion ist mein erstes Projekt mit meinem Bruder. Wir treten ab jetzt als die Riahi Brothers auf, das klingt cooler (lacht). Es ist ein großes Dokumentarprojekt und Cross Media-Projekt, in dem es um Formen des gewaltlosen Widerstands weltweit geht.
Cross Media heißt medienübergreifend?
Cross Media heißt, es gibt verschiedene Medien mit verschiedenen Plattformen, die ineinander fließen. Wir werden am 1. März die erste Phase mit der Webseite starten. Es ist aber keine Webseite für den Film, sondern zum Thema gewaltloser Widerstand. Der Film wird ein kleiner Teil davon sein. Es wird Anleitungen geben, wie man gewaltlose Revolten organisieren kann. Wir sammeln und drehen selbst welche. Wir haben eine Reihe mit ARTE, die 20 Tipps für Creative Resistance gibt. Zum Beispiel wie man am besten Pressemeldungen schreibt, die neutral wirken, in Wirklichkeit aber eine Message enthalten oder wie man sich verhält, wenn die Polizei Gewalt ergreift.
Klingt ein bisschen wie ein Handbuch für gewaltlosen Widerstand…
Es soll eine Plattform sein, auf der die Leute ihre Sachen auch selbst posten und uploaden können. Wir gehen einen Schritt weiter, als wir bis jetzt mit sozialkritischen Themen gegangen sind und sehen uns als Teil einer Bewegung. Wir haben den naiven Glauben, dass man mit Filmen und künstlerischen Tätigkeiten Menschen verändern kann.
Aufklärerisch …
Ja, wir haben schon einen aufklärerischen und nicht nur unterhaltsamen Anspruch, wobei ich versuche in meinen Filmen schwierige Themen anzupacken, aber immer auch mit Hoffnung, weil ich glaube, dass man damit viel mehr erreichen kann als mit Angst, Düsternis, Abschreckung oder Schock.
Das Wesentliche ist ja auch, dass es sich um gewaltlosen Widerstand handelt.
Genau. Es ist mittlerweile erwiesen, dass zwei Drittel der erfolgreichen Bewegungen der letzten hundert Jahre gewaltlos waren. Unsere These ist, dass du eine gewalttätige Gesellschaft nur dann ändern kannst, wenn du genau mit den entgegengesetzten Methoden darauf reagierst, denn Gewalt kreiert Gewalt.
Sie sind einer der Gründer der Golden Girls Produktionsfirma. Bleibt da noch genug Zeit für eigene Projekte?
Weniger. Aber seit Ein Augenblick Freiheit 2008 fertig war, habe ich vier Kinodokumentarfilme produziert, einer war mein eigener. Wir haben 15–20 Fernsehdokumentationen gemacht, davon ich selbst zwei. Ich habe ein Drehbuch für einen Spielfilm geschrieben, für das ich gemeinsam mit der Wega Projektentwicklung erhalten habe.
Es wird also wieder einen Spielfilm geben. Darf man schon das Thema wissen?
Ja, wenn wir die Förderung bekommen, wird er vielleicht dieses Jahr noch gedreht. Es ist eine Romanverfilmung, „Oskar und Lilli“ von Monika Helfer, ob der Film auch so heißen wird, werden wir sehen.
Wir freuen uns schon darauf. Danke für das Gespräch.