Interview mit Maria Hofstätter
Paradies: Glaube (zur Kritik), der zweite Teil der Paradies-Trilogie von Ulrich Seidl, ist das Porträt von Anna Maria, einer Frau, die Jesus liebt, aber mit den Menschen hadert. Wir haben mit Maria Hofstätter, die im März den Großen Diagonale-Preis bekommt, über ihre Rolle, das Inhumane an Ideologien und das Drehen mit Ulrich Seidl gesprochen…
Sie spielen im zweiten Teil der Paradies-Trilogie von Ulrich Seidl Anna Maria, eine Liebhaberin Jesu, die ihre Liebe durch missionarische Tätigkeit auch an andere weitergeben möchte. Wie haben Sie sich in diese Extremrolle eingefunden?
Schwer hab‘ ich mich da eingefunden. Ich habe erstaunlich lange gebraucht. Ich habe zwar die Rolle rational verstanden, als Schauspielerin, als Figur, aber ich hatte große emotionale Widerstände, sie wirklich glaubwürdig zu verkörpern. Schauspiel bedeutet ja dann auch, dass ich das emotional nachvollziehen muss und das war sehr schwierig für mich, vor allem die Missionstätigkeit. Es hat vieler Anläufe bedurft, bis ich soweit war, dass ich ein Missionierungsgespräch durchhalten konnte. Vorher macht es aber auch keinen Sinn es wirklich zu drehen. Es ist sehr, sehr schwer.
Vor allem, wenn man selbst nicht die religiöse Überzeugung hat, die man eigentlich braucht …
Die braucht man wirklich. Das habe ich unterschätzt, massiv unterschätzt. Einerseits das Wissen, das man haben muss. Man muss bibelfest sein, man muss auf alles eine Antwort haben und sehr schnell, sonst ist man schon wieder draußen. Und dann weiß man nie, mit welcher Thematik man konfrontiert wird. Menschen sind so unterschiedlich, ihre persönlichen Umstände sind sehr unterschiedlich.
Bedeutet das, man kommt mit Religion oder dieser Art Religion schnell in einen sehr intimen Bereich?
Natürlich, man überschreitet ja auch etwas, tut etwas, was man normalerweise nicht tut. Normalerweise ist man viel höflicher, wenn jemand ablehnt, dann geht man. Hier darf man die Ablehnung aber nicht sofort akzeptieren, man muss einen Schritt weiter gehen. Also muss man eine Distanz, die sinnvoll wäre, überschreiten und das ist eigentlich, das kann man schon sagen, es ist ein aggressiver Akt, den man setzt.
Sie wurden selbst katholisch erzogen, war das hilfreich oder eher eine Hemmschwelle?
Wahrscheinlich beides. Einerseits weiß ich schon viele Dinge, die ich nicht wüsste, wenn es z.B. hieße, ich müsste diese Figur bei Scientology spielen. Andererseits waren da unterbewusst ordentliche Widerstände in mir. Ich habe mich vom katholischen Glauben distanziert und das habe ich vor allem beim Missionieren gemerkt. Rational weiß ich, dass ich eine Rolle spiele, es ist ja nicht so, dass da Maria Hofstätter von Tür zu Tür geht, es ist eine Figur, aber trotzdem hat sich etwas in mir dagegen gewehrt.
Es gibt eine Szene im Film, die von konservativer Seite Kritik erhalten hat, die Masturbationsszene. Kostet so eine Szene Überwindung, wenn man mit diesem Background dazukommt?
Nein, nicht sehr. Mich hat das Missionieren viel mehr Überwindung gekostet. Und auch die letzte Szene, wo ich auf Jesus einschlage, war für mich schwieriger. Ich bin erstaunt, warum alle nur von der Masturbationsszene reden, die auch nur eine angedeutete ist. Anna Maria macht das aus Liebe, sie ist in Jesus verliebt, sie will nicht blasphemisch mit dem Kreuz umgehen, es ist wirklich ein Liebesakt. Auf das Kreuz einzuschlagen ist mir viel schwerer gefallen, aber anscheinend stört die Kirche Gewalt nicht, aber Sexualität.
Genau das ist auch ein Punkt, die verdrängte Sexualität in der Kirche, die Seidl ansprechen möchte, oder?
Die ist Thema. Und das kenne ich auch von meiner katholischen Erziehung. Sexualität, gesundes Körperbewusstsein war kaum möglich, weil alles, was mit Sexualität zu tun hat, Sünde war. Es ist extrem patriarchalisch geprägt. Dem Mann wird Triebhaftigkeit zugesprochen und damit auch eine gewisse Entschuldigung, bei der Frau ist es einfach nur Sünde. Aber es ist nun mal so, nach Essen, Trinken und Schlafen, glaube ich, ist die Sexualität das nächste, was einem an- und eingeboren ist und wesentlich dafür ist, dass es überhaupt Menschen gibt. Das ständig zu verdrängen oder sich damit nicht wohlzufühlen, erzeugt viele sublimierte Handlungen.
Dann gibt es wiederum Szenen, die körperlich sehr schmerzhaft ausschauen …
… waren sie auch. Vor allem auf den Knien, das war furchtbar schmerzhaft.
Also waren die Wunden, die Sie in einer Szene im Badezimmer verarztet haben …
… die waren schon echt, ja, ja. Bei Ulrich Seidl ist fast immer alles echt. Und mit dem Geißeln war es auch so. Da habe ich mich überhaupt nicht dagegen gewehrt.
Es ist mehr eine ideelle denn eine reale Welt, in der Anna Maria lebt. Ein System, in dem Regeln herrschen und bestimmte Aufgaben zu erfüllen sind …
Genau das ist es, was ihr Stabilität gibt. Ich habe die Leute, die missionieren, immer gefragt, wie sie zu ihrer Überzeugung gekommen sind. Bei fast allen war das Ausschlaggebende eine schwere persönliche Krise im Leben. Bei vielen war es so, dass sie den Schicksalsschlag dann sogar gutgeheißen haben.
Und Anna Maria findet dadurch sogar ihr Paradies …
Ja, aber so dogmatisch, dass man immer spürt, dass da irgend etwas nicht ganz stimmt. Es ist schon ein sehr gewolltes Paradies.
Irgendwann hat man das Gefühl, dass Anna Maria eigentlich eine einsame, enttäuschte Frau ist. Sie hadert und reibt sich an der Realität.
Genau. Und das habe ich bei Gläubigen generell erlebt. Es gibt welche, die sind sehr dogmatisch, andere haben denselben Glauben und sind sehr offen und sehr weit, haben auch Verständnis für deine Sicht der Dinge, während eine Anna Maria kein Verständnis für eine andere Sicht der Dinge haben kann, die ist schlicht und ergreifend falsch und muss man ändern.
Das merkt man auch in der Szene mit der Migrantin. Anna Maria kann ihr überhaupt keinen Trost spenden.
Nein, das kann sie nicht. Das ist, denke ich, überhaupt das Problem bei allen strengen Ideologien, es gilt für mich wirklich auch für politische Ideologien, wenn etwas dermaßen dogmatisch ist, wird es immer inhuman. Und wenn sie mit dem besten Idealismus rangehen, das hat man an den kommunistischen Systemen gesehen usw., je dogmatischer, je idealistischer, umso wahnsinniger wird es, weil ihr System immer die Mehrheit der Menschen ausschließt.
Weil es nicht Realität ist, sondern eine vermeintlich ideale Situation, die herzustellen ist …
Die Ideale muss man ständig verteidigen. Es ist unmenschlich, weil das Leben viel zu komplex und differenziert ist, das lässt sich nicht in einen Kanal drängen.
Nur mit Gewalt …
Nur mit Gewalt. Das sehen die Systeme irgendwann aber auch als legitim an. Wenn du wirklich nicht willst, wirst du zum Feind, dann bist du das Böse. Wenn man zum Beispiel die Bücher von Opus Dei und Legio Mariae liest, merkt man, wie unglaublich militant und militärisch ihre Sprache ist, „Wir sind die Speerspitze Gottes.“
Diesen Satz hört man auch im Film. Eigentlich nicht lustig, aber gerade die Szene mit der Gebetsrunde reizt trotzdem zum Lachen. Haben Sie das auch so empfunden?
Ja, das ist das Spannende, wenn man mit Ulrich Seidl arbeitet. So sehe ich auch das Leben. Es ist eigentlich nur dann lustig, wenn etwas ganz Dramatisches drunter liegt, sonst ist es nur Blödelei. Wirkliche Satire oder Humor ergeben sich erst, wenn man nicht mehr weiß, ob man jetzt lachen oder völlig deprimiert sein soll. So geht es einem auch mit eigenen Abgründen. Humor ist etwas dermaßen Wichtiges, dass man überleben kann und auch die anderen leben lässt. Das ist der zweite Punkt: Was Dogmatikern fehlt, ist Humor. Die sind ziemlich humorlos.
Für Humor muss man auch einmal die Seiten wechseln können und sich selbst anders sehen. Man hat nicht das Gefühl, dass Anna Maria das könnte.
Ja, genau, und Dogmatiker empfinden Humor als schwere Bedrohung. Das macht es aber auch so gefährlich und das ist das Problem bei jedem Dogmatismus, bei jedem Fundamentalismus, du kannst mit diesen Menschen nicht sinnvoll reden, die sind alle wie gehirngewaschen und sie können nicht anders. Und das ist auch das, was dann dem Ehemann passiert, er rennt gegen Wände bei dieser Frau und das macht ihn ohnmächtig, zornig, traurig, weil er nicht an sie rankommt.
Aber es ist doch mehr ein Beziehungskonflikt, durch den dann der Glaube irgendwann zum Thema wird …
Genau, so ist es. Er ist auch nicht einfach, verletzt sie, aber kein Mensch ist einfach. Und es gibt natürlich kulturelle Differenzen, wie es bei Mischehen wahrscheinlich fast immer der Fall ist, dass man Grundsätzliches ausdiskutieren muss. Die beiden waren ja auch einmal verheiratet – es werden zwar nur diese drei Wochen gezeigt und keine Rückblenden, aber man hat seine eigenen Rückblenden, weil man eine Figur spielt. Sie haben einmal beide ihren Glauben nicht so ernst genommen, aber wie es oft in einer Ehe oder Beziehung passiert, entwickelt sich einer plötzlich in eine andere Richtung. Sein Glaube ist eher eine Reaktion, eine Gegenposition zu Anna Maria.
Ulrich Seidl hat eine Arbeitsweise, bei der die Schauspieler kein Drehbuch erhalten, die Dialoge müssen improvisiert werden. Sie haben schon vorher mit Seidl zusammengearbeitet. Gewöhnt man sich als Schauspielerin irgendwann an die Arbeitsweise?
Die Arbeitsweise kenne ich, schätze ich und mag ich. Die Arbeitsweise ist eigentlich bei allen Projekten die gleiche geblieben, nur die Themen ändern sich, die Figuren ändern sich und an denen arbeitet man dann eben. Das Tolle an Ulrich Seidl ist, dass er einem so viele Freiheiten lässt, gleichzeitig aber so genau ist, ein scharfer Beobachter und Zuhörer und dann am Ende ganz konsequent ist.
In Hundstage heißt ihre Figur Anna, in Import Export …
Maria und jetzt ist es Anna Maria …
Haben die drei Frauen etwas gemeinsam?
Einsamkeit. Sehnsüchte und Einsamkeit.
Das Seidelsche Thema?
Nicht nur das Seidelsche Thema. Es ist ein Thema.
Danke für das Gespräch.