Limbo
Tolle Marketingstrategie, Sony. Während Microsoft mit einem großen Summer-Sale-Angebot im hauseigenen Marktplatz seine Kundschaft durch die vorherrschende, akute Videospielflaute hinweg zu beschäftigt weiß, verschläft der japanische Megakonzern erneut eine große Gelegenheit, seinen virtuellen Playstation-Auftritt (aka Playstation-Network-Store) besser zu etablieren. Immerhin darf sich sowohl die nach Triple-A-Blockbustern lechzende-, als auch die Indie-Game-Community mit einem kleinen, aber wirklich feinen Leckerbissen in der Zwischenzeit trösten: LIMBO, das Erstlingswerk des dänischen Entwicklerstudios Playdead, ist nach einjähriger Xbox 360-Exklusivsperre endlich auch im PSN erhältlich.
Auch wenn die „Sind Videospiele Kunst?“-Frage dank des medialen Echauffierens des renommierten Filmkritikers und Pulitzerpreisträgers Roger Ebert in Foren bzw. Fachmagazinen schon zu Genüge behandelt wurde, so bleibt dem geneigten Spieler nach den ersten Minuten in LIMBO sicherlich nichts anderes übrig, als sich dennoch – erneut – eben jener Problematik zu stellen. „Kunst ist ein menschliches Kulturprodukt, das Ergebnis eines kreativen Prozesses. Das Kunstwerk steht meist am Ende dieses Prozesses.“ – Diese Definition sollte man sich hier vor Augen halten.
Wie so viele großartige Spiele besticht auch jener Download-Titel vor allem mit zwei ganz prägnanten Eigenschaften, nämlich einer vom ersten Moment an eindrucksvolle Atmosphäre und zudem mit einer vordergründig simplen, zugleich aber herausfordernden Spielmechanik. Ohne allzu viel Exposition wird der Spieler in eine düstere, monochrom schwarz-weiße Welt versetzt, in der er die Rolle eines stummen, dafür umso agileren Protagonisten übernimmt.
Mit weiß-glühenden Augen hüpft, läuft und rutscht die im Vergleich mit ihrer Umgebung winzige Figur anfangs durch bedrohliche Naturszenarien, die im Laufe der fünf bis sechs Stunden Spielzeit durch klaustrophobische, industrielle Abschnitte mit todbringenden Fallen und interessanten Physikrätseln abgelöst werden. Ohne nennenswerten Soundtrack – allein ein dumpfes Rauschen mit einigen akustischen Spitzen ist zu hören – bleibt der Spieler bei jeder (hervorragend animierten) Bewegung gebannt beim Verlauf des Spielgeschehens, was angesichts der sensorischen Verrohung durch aktuellen Videospielproduktionen, allen voran natürlich die beliebig auswechselbaren Ego-Shooter-Reihen, schon als alleiniger Kaufgrund von LIMBO gelten darf.
Interessant bleibt vor allem die Tatsache, dass die Entwickler in Hinsicht auf die Story auf das Urteilsvermögen und die Vorstellungskraft der Spieler setzen, nicht auf allzu langwierige Handlungschilderungen in aufwendig gestalteten Zwischensequenzen. Spinnt man etwa den Gedanken beim Ende von LIMBO weiter, so ergeben sich eine Fülle verschiedenster Möglichkeiten, was nun tatsächlich vor sich gehen könnte: Ist das ganze Abenteuer nur ein letzter Widerhall einer verlorenen Seele auf den Weg in die Vergessenheit? Eine vergebliche Suche nach Nähe zu einer entfremdeten Person? Die dänische Videospielvariante einer Abhandlung über den deutschen Expressionismus? Eine Tim-Burtoneske Version der Schlümpfe, inklusive pfählen und köpfen des Protagonisten im Minutentakt?
Genau hier liegt jedenfalls der Reiz: Im Verborgenen, in der Düsternis der Ungewissheit. Sei LIMBO auch noch so kurz, verhältnismäßig teuer und nach einem Jahr Wartezeit kaum für die PS3-Spieler mit etwas mehr Content erweitert worden – allein durch sein Erscheinen kann jeder in den Genuss kommen, Kreativität und Atmosphäre mit (virtuellen) Schritt aufzunehmen.
Plattform: XBLA, PSN (Version getestet), Altersfreigabe (PEGI): 18, Spieler: 1, Erscheinungsdatum: 21.07.2011