The Shards
Kult-Autor Bret Easton Ellis kehrt zurück – und zwar mit sich selbst als Hauptprotagonist in seinem neuen metafiktionalem Roman The Shards.
Kurz zur Einordnung: Ellis (also dem echten) gelang mit seinem Romandebüt Unter Null (Less than Zero, 1983) ein überragender literarischer Erfolg. Sein dritter Roman American Psycho (1991) spaltete Kritiker und Leserschaft bis heute. Von den einen als Meisterwerk gefeiert, wird er von anderen als ultrabrutaler misogyner Dreck angesehen. Ellis‘ letzter Roman, Imperial Bedrooms, erschien 2010. Er wurde als Fortsetzung zum Debüt Unter Null verkauft.
Der nähere Zusammenhang zwischen diesen beiden Werken blieb dabei weitestgehend verborgen – und markierte auch Ellis‘ erzählerischen Tiefpunkt. Danach zog er sich vom Romanschreiben zurück, verfasste Drehbücher zu schwachen Filmen (etwa The Canyons) und veröffentlichte 2019 mit White seinen ersten Essay-Band. Doch Anfang 2023 ist es nun soweit: The Shards ist die langersehnte Rückkehr von Bret Easton Ellis zur Belletristik. Darum geht’s:
1981 befindet sich Bret Ellis in seinem letzten High-School-Jahr. Er arbeitet an seinem literarischen Erstlingswerk und hängt viel auf Partys rum. Zur gleichen Zeit treibt ein Serienmörder, genannt Trawler, sein Unwesen in L.A. In Brets Jahrgang kommt ein neuer Junge in die Klasse, Robert Malloy, der zwar verdammt gut aussieht, aber Bret sofort missfällt. Robert drängt sich in seinen Freundeskreis und Bret bekommt immer mehr das Gefühl, dass mit ihm irgendetwas nicht stimmt. Ist er gar der Trawler? Bret heftet sich an Roberts Fersen.
„Du siehst nicht aus, als hättest du Spaß“, sagte sie. Und dann: „Aber das tust du eigentlich nie.“
The Shards wurde ursprünglich als serielle Lesung von Ellis in seinem eigenen Podcast inszeniert. Nun liegt der Roman vor. Es ist nach American Psycho und Glamorama Ellis‘ drittes Mammutwerk, mit über 700 Seiten. Ihm gelingt hier ein vielschichtiger Roman, der erneut gekonnt biografisches und fiktionales vermischt. Ellis-typsiche Versatzstücke, wie ausgedehnte Beschreibungen von (vermeintlich) Oberflächlichem (Songs, Partys, Koks, Sex) gibt es wieder zuhauf.
Ellis hielt im echten Leben seine Homosexualität lange verdeckt. Diese Zeiten sind vorbei. Anstelle der ausgedehnten pornografischen heterosexuellen Kapitel (wie z.B. in American Psycho), treten ausgedehnte pornografische homosexuelle Kapitel. Wenig verwunderlich – diese sind (zumindest teilweise) wesentlich intimer und weniger aggressiv geschildert, als zuvor. Dazu mischen sich Elemente des Psychothrillers, leichte Horroranleihen, aber auch viel absurder Humor. Und nicht zuletzt – viel Coming-of-Age.
Insgesamt ist The Shards einer von Ellis interessantesten Romanen. Zusammen mit seinem anderen metafiktionalem Werk Lunar Park (2005) wahrscheinlich sogar sein bester. Zugegeben, man braucht sicher ein wenig Geduld für diesen Roman. Gerade der Einstieg gelingt nicht optimal. Und ja, vermutlich hätte The Shards um gute 200 Seiten gekürzt werden können, ohne nennenswerte Verluste in der Erzählung zu verzeichnen. Trotzdem ist er einer der wildesten, klügsten und humorvollsten Romane der letzten Jahre. Und ein mehr als gelungenes Comeback für Bret Easton Ellis. Hoffentlich hat er mit der Entstehung von The Shards, die Lust am fabulieren wieder entdeckt. Und hoffentlich dauert es dann nicht wieder 13 Jahre bis zu seinem nächsten Roman.
The Shards von Bret Easton Ellis, 736 Seiten, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch.