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Die unheimliche Erbschaft

Wer glaubt die ganzen “Haunted House” Geschichten bereits zu kennen, wird mit Die unheimliche Erbschaft von Richard Marsh eine wunderbar effektive und spannende Überraschung erleben.

Die junge Verkäuferin Mary “Pollie” Blyth verliert ihren Job und steht vor dem Nichts. Genau so unerwartet taucht plötzlich eine Erbschaft ihres verstorbenen Onkels auf. Ihn und seine Bedingungen, die an sein Vermächtnis geknüpft sind, als exzentrisch zu bezeichnen, wäre noch eine Untertreibung. Doch Mary ist eine willensstarke und selbstbewusste Frau und lässt sich weder von dem unheimlichen, heruntergekommen Haus, das sie fortan bewohnen muss, noch von den zusehends haarsträubenden Ereignissen, die ihr widerfahren, abbringen das Erbe anzutreten. Ihr zur Seite steht nicht nur ihre beste Freundin, sondern auch ein aufrechter Anwalt und ein hintergangener Kapitän, der auf Vergeltung sinnt.

Richard Marsh war zu Lebzeiten (1857-1915) einer der erfolgreichsten Schriftsteller, ein wahrer Bestseller-Autor, der sogar seinen Zeitgenossen Bram Stoker in den Verkaufszahlen übertroffen hat. Trotzdem ist er heutzutage leider sehr in Vergessenheit geraten. Unverständlich, wenn man Die unheimliche Erbschaft liest. Der Roman ist so spannend und modern, als wäre er erst kürzlich veröffentlicht worden. Obwohl ein Horrorroman mit einer Spur Phantastik, ist er gleichzeitig inhaltlich herausfordernd. Marsh lässt vier verschiedene Ich-Erzähler die Geschichte rund um Mary Blyths Erbschaft erzählen, darunter natürlich auch Mary selbst. Es gelingt ihm alle vier Protagonisten vielseitig, stark und komplex zu zeichnen, vor allem derart selbstbewusste Frauenfiguren sind aus jener Zeit (veröffentlicht wurde der Roman ursprünglich 1901 unter dem Titel The Joss: A Reversion) eine Seltenheit. Die Handlung läuft in gewisser Hinsicht zeitlich verschachtelt und beinahe rückwärts laufend ab. Die gesamte Auflösung der Ereignisse findet sich natürlich dennoch erst am Ende der Geschichte.

Wenn Marsh nicht ein derart erfolgreicher Autor gewesen wäre, hätte man ihm fast den Vorwurf machen können, er war seiner Zeit voraus, aber das vereint sich nicht mit seinem Erfolg. Der Blitz-Verlag hat mit Die unheimliche Erbschaft einen wahren Klassiker wieder veröffentlicht, den man unbedingt entdecken und lesen sollte, verdient hat er es sich allemal. Der Roman ist gespickt mit Wendungen, unheimlichen Momenten, originellen Figuren und einer spannenden Erzählung, die einem bis zum Finale fesselt. Nichts ist, wie es zu sein scheint und es macht einfach ungemein Spaß den Protagonisten Schritt für Schritt bei der Auflösung der Vorkommnisse beizuwohnen. Die unheimliche Erbschaft ist aufregend, unheimlich und ungemein modern. Eine absolute Entdeckung eines leider zu unrecht in Vergessenheit geratenen Autor und eines ganz fabelhaften Romans.

Die unheimliche Erbschaft von Richard Marsh, 422 Seiten, erschienen im Blitz-Verlag.