Das schweigende Klassenzimmer
Eigenständiges Denken oder überhaupt das Gehirn zur Erkennung inhaltlicher Zusammenhänge einzuschalten, feiert Lars Kraumes dröges Lehrstück als heroische Leistung. Eine, die der Regisseur und Drehbuchautor seinem Zielpublikum keinesfalls zumuten will.
Wenn die Grundschüler, auf die das formelhafte Geschichtskino zugeschnitten scheint, sich eigene Gedanken machen, kommen sie vielleicht auch auf unliebsame. Etwa den Gedanken, dass der auf Dietrich Garstkas gleichnamigem Buch basierende Jugendfilm ein uninspiriert und kunstlos abgearbeitetes Möchtegern-Prestige-Werk ist. Die behauptete intellektuelle Botschaft der paternalistischen Dramatisierung eines kollektiven Protests einer DDR-Klasse im Jahr 1965 wirkt damit noch unglaubhafter als die Akteure, deren Spiel den eine Holzhammer-Lektion nach der anderen austeilenden Plot letztlich zur Farce macht.
Die Irritation beginnt beim Poster. Darauf sind 28 SchülerInnen abgebildet. Im Klassenraum auf der Leinwand sitzen dann nur rund die Hälfte. Okay, die Handlung spielt ja statt in Storkow, wie in der Vorlage, in Eisenhüttenstadt. Dort gab es damals wohl nicht sonderlich viele Leute. Entsprechend einsam wirken die meisten Außenszenen. Optisch atmet die Produktion die bemühte Künstlichkeit eines Fernsehspiels. Selbiges hat sich den Bildungsauftrag übergroß auf die Fahne geschrieben und bevölkert dafür die gesamte DDR mit Stereotypen. Schüler Theo (Leonard Scheicher) ist der wankelmütige Spaßvogel, der zu seinem Wort zu stehen lernt. Sein bester Freund Kurt (Tom Gramenz) ist der Stille, der sich durchzusetzen lernt.
Am meisten lernen sollen die Zuschauer. Als sei Das schweigende Klassenzimmer nicht die nach einer Schweigeminute für die Gefallenen des Ungarnaufstands verschworene Schülergemeinschaft, sondern der Kinosaal. Da unterrichtet Kraume patriarchalische Rollenbilder weit abseits der ´68er, denen die jungen Protagonisten angehören. Noch gestriger ist die sentimentale Faschismus-Apologetik, gepaart mit historischem Whataboutism und dezentem Klerikalismus. Halbherzig angerissene Konflikte unter Klassenmitgliedern und in deren Familien werden fallen gelassen oder bereinigt durch die Brachial-Botschaft: Folge der Mehrheit, auch wenn du Zweifel hast oder keinen Plan, worum es geht. Von der Filmbewertungstelle sicher mit „pädagogisch wertvoll“ benotet. Cineastisch gilt die Einschätzung eines der Lehrer: „Das ist dann eine Fünf.“
Regie und Drehbuch: Lars Kraume, basierend auf dem Roman von Dietrich Garstkas, Darsteller: Jördis Triebel, Ronald Zehrfeld, Lena Klenke, Florian Lukas, Burghart Klaußner, Rolf Kanies, Filmlänge: 111 Minuten, gezeigt auf der Berlinale 2018, Kinostart: 02.03.2018