Censored-Voices-(c)-2015-Viennale(3)

Censored Voices

8
Dokumentation

1967 interviewte der Schriftsteller Amos Oz junge Männer, die gerade aus dem „Sechstagekrieg“ zurückgekommen waren. Die Dokumentation Censored Voices widmet sich nun den daraus entstandenen Tonbandaufnahmen, deren Veröffentlichung damals verboten war.

Nach dem Krieg 1967, der auch als „Sechstagekrieg“ bezeichnet wird, war das Gebiet von Israel auf das Dreifache ausgedehnt. Im ganzen Land herrschte euphorische Siegesstimmung und die Soldaten galten als triumphierende Heimkehrer, die für ihr Land gekämpft und gewonnen hatten. Der israelische Schriftsteller Amos Oz, selbst Soldat des Krieges, stand der Freudenstimmung skeptisch gegenüber und traf sich bereits wenige Tage nach der Heimkehr mit anderen Soldaten um ausführliche Gespräche auf Tonband aufzunehmen. Dabei ging es vorwiegend um die Gefühle und Gedanken der Soldaten, offen und ohne sich in ihren Äußerungen zurückzuhalten, die sie in Bezug auf den Krieg hatten. Herausgekommen sind durchaus kritische, aber vor allem überaus ehrliche Gespräche und Ansichten. Von der Armee wurden die Aufzeichnungen damals von der Veröffentlichung verhindert, ihnen gefiel das Bild nicht, das darauf entworfen wurde.

Nur in Auszügen waren diese Stimmen bisher bekannt. Die israelische Filmemacherin Mor Loushy lässt in Censored Voices die Soldaten nun wieder zu Wort kommen, einerseits spielt sie die realen und nach wie vor existierenden Tonbandaufnahmen in ihrer Gänze ab, andererseits konfrontiert sie die heutigen, nunmehr 70-jährigen Soldaten mit ihren Erinnerungen von früher und hinterfragt, wie sie heute dazu stehen. Auf der visuellen Ebene werden die Tonbänder von Archivmaterial unterstützt und in gleichem Maße konterkariert, wodurch eine manchmal beinahe satirisch anmutende Skurrilität entsteht, die der Dokumentation eine zusätzliche Eben einschreibt und damit die Komplexität menschlicher Gedanken und Emotionen anschaulich darstellt. Durch die Gegenüberstellung der Tonbänder und des Archivmaterials wird ein umfassendes Bild der Taten geliefert.

Umfassend, aber auch stark vom Inhalt und der intendierten Aussage der Filmemacherin geprägt. Oft bekommt man das Gefühl, dass sie ihr Anliegen etwas zu plakativ und zu sehr aufs Auge drückt. Zahlreiche Aufnahmen von leidenden Gesichtsausdrücken, vertriebenen Menschen und am Straßenrand liegenden Leichen. Intensive Bilder, die nichts von ihrer Gültigkeit und Stärke eingebüßt haben, doch gleichzeitig auch Bilder, die einem immer wieder eingetrichtert werden, damit man auch ja versteht, was Mor Loushy einem sagen will, damit die Aussage auch auf keinen Fall falsch verstanden oder anders interpretiert werden kann. Hier fühlt man ein wenig mangelndes Vertrauen in die für sich selbst stehende, ergreifende und brisante Geschichte einerseits und in die Intelligenz des Publikums andererseits. In diesem Fall muss man sagen, weniger wäre mehr gewesen.

Nur in einer Hinsicht hält sie sich, und in diesem Fall muss man wiederum sagen leider, an diese Devise und lässt die gealterten Soldaten zu wenig zu Wort kommen. Anstatt einer Reflexion und einer direkten Gegenüberstellung ihrer damaligen und heutigen Emotionen und Gedanken, konzentriert sie sich fast ausschließlich auf die Tonbänder und lässt die 70-jährigen Soldaten nur summierend ihre heutigen Gefühle darüber Preis geben. Hier hätte man eventuell mehr nachhaken und ihr heutiges Ich mit dem damaligen stärker in Verbindung setzen können, auch wenn ihre Gesichter, die den Aufnahmen lauschend vor der Kamera sitzen, durchaus aussagekräftig sind und ihre eigenen Geschichten erzählen, hätte es wohl nicht geschadet sie ebenfalls stärker in den Fokus zu rücken.

Trotz seiner Schwächen bildet Censored Voices ein spannendes und atmosphärisches Ganzes. Eine Dokumentation, die sich einem nach wie vor brisanten Thema widmet und es mitreißend und emotional inszeniert. Auch wenn kaum neue Erkenntnisse aufgeworfen oder Dinge gesagt werden, die man nicht ohnehin schon aus anderen Dokumentationen – nicht nur über den „Sechstagekrieg“ sondern prinzipiell von Filmen über den Krieg – kennt, bleibt Censored Voices ein wichtiges Dokument gegen Nationalismus und Kriegsbegeisterung und ein starkes, einprägsames Porträt über die menschliche Natur, eines, das ohne den Mut und die schon damals kritische Einstellung des Schriftstellers Amos Oz und seinen Aufnahmen nicht möglich gewesen wäre.

Regie: Mor Loushy, Drehbuch: Mor Loushy, Daniel Sivan, Darsteller: Amos Oz, Filmlänge: 84 Minuten, gezeigt im Rahmen der Viennale V‘15, www.censoredvoices.com




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