Der letzte Tanz
Die gesellschaftliche Anerkennung von Liebe, körperlicher Nähe und Sexualität als Grundbedürfnisse ist für alte Menschen nicht selbstverständlich. Ihnen geschlechtliche Neigungen zuzugestehen, ist nach wie vor ein Tabu. Hier setzt Der letzte Tanz von Houchang Allahyari an.
Der Gewinner des diesjährigen Großen Diagonale-Preises für den besten österreichischen Spielfilm ist ein in zweierlei Hinsicht provokanter Film. Zum einen wird das sich entwickelnde Verhältnis zwischen der 87-jährigen Alzheimerpatientin Frau Eckert (Erni Mangold) und dem Zivildiener Karl (Daniel Sträßer) wie eine Teenager-Liebe und in deutlichen Bildern dargestellt. Der Mut dieser Herangehensweise, den auch Erni Mangold mit ihrem Schauspiel fortschreibt, ist bemerkenswert und geht in manchen zauberhaften Momenten auf. Allahyari gibt der Geschichte einen poetischen Grundton, der sich aus weiblichem Rebellentum, das mit der Geier-Wally untermalt wird, und romantischer Liebe, die auf Romeo und Julia bezogen wird, zusammensetzt. So entsteht ein künstlerischer Raum, in dem diese Liebe aufgehoben ist.
Die zweite Herausforderung geht hingegen weniger auf. Sie besteht aus einem latent gesellschaftskritischen Unterton, der sich jedoch nicht in das poetische Bild einfügt, sondern vor diesem Hintergrund umso künstlicher hervortritt. Besonders stark ist dieser Eindruck in der „Jetztzeit“, die Karls Verhaftung zeigt und in Schwarz-Weiß gedreht wurde. Die Vielzahl an Klischees und Stereotypen, die Allahyari mit seinen Drehbuchautoren Daniel Kundi und August Staudenmayer einsetzt, ermangeln einer Vielschichtigkeit, welche die Darstellung von Hierarchien und dem Moment des Ausgeliefertseins – die Entmündigung durch Staat und Gesellschaft, der Menschen im Alter umso stärker ausgesetzt sind – einer aufmerksamen Betrachtung annähern würde. Und auch die Schauspielerinnen und Schauspieler (insbesondere der Nebenrollen), ihre Haltung, Sprache und die Dialoge, wirken in tendenziös und konstruiert scheinenden Situationen allzu gespreizt.
Zurückhaltung, Beobachtung und Schweigen wären in manchen Fällen wünschenswerter gewesen als eine plakative Aussage. Doch davon findet sich reichlich: Das herabwürdigende Verhalten der Beamten und ihre abfälligen Bemerkungen dienen dazu, ein intransparentes, repressives und willkürliches Strafsystem zu vermitteln. Die aus dem Nichts entstehenden Wutausbrüche und körperlichen Zusammenbrüche von Karl signalisieren dessen Leiden und die ihm widerfahrende Ungerechtigkeit. Die böse Oberschwester im Pflegeheim macht aus der unmündigen Frau Eckert eine schlecht behandelte Gefangene. Die Widerspenstigkeit der 87-Jährigen ist einerseits Resonanz auf die Boshaftigkeit der Schwester und andererseits in ihrer aus einem tragischen Schicksal erwachsenen Einsamkeit begründet. Die Aufmerksamkeiten Karls lassen sie wieder aufleben. Der junge Mann, der sich in eine alte Frau verliebt, hat eine innige und schwierige Mutter-Sohn-Beziehung.
Houchang Allahyaris Schablonenhaftigkeit spiegelt seine Erfahrungen als Psychiater wider und trägt vielleicht auch dazu bei, dass die Figuren letzten Endes nicht bloßgestellt werden. Der letzte Tanz ist somit ein mutiger und außergewöhnlicher Film, der besonders durch die Bilder aus Peter Roehslers Kamera und deren musikalische Begleitung besticht. Auch der Ansatz einer Zweiteilung des Films in einen schwarz-weißen und einen Erzählstrang in Farbe verleihen dem deutlich stärkeren zweiten Teil und Erni Mangold einen liebenswerten, bezaubernden Zug. Für ihre Darstellung erhielt Mangold den Diagonale Schauspielpreis. Sie mimt die erwachsende Liebe der 87-Jährigen mit allen kindischen Verhaltensweisen, Peinlichkeiten und Träumereien, die wohl auch ein junges Mädchen haben mag. Das ist äußerst sehenswert.
Regie: Houchang Allahyari, Drehbuch: Houchang Allahyari, Daniel Kundi, August Staudenmayer, Darsteller: Erni Mangold, Daniel Sträßer, Marion Mitterhammer, Fritz Karl, Doina Weber, Viktor Gernot, Filmlänge: 96 Minuten; Kinostart: 13.06.2014, derletztetanz.at