Nerven Bruch Zusammen
Manche Menschen bringt das Leben an die Grenze des Erträglichen. Ihre Not und ihr Leid sind meist unsichtbar, auch weil sie nicht gesehen werden wollen. Arash T. Riahis Dokumentarfilm Nerven Bruch Zusammen handelt von Frauen, die sich in Notsituationen befinden und er beweist, dass es sich lohnt hinzuschauen.
Schauplatz ist das Haus Miriam, ein von der Caritas betreutes Übergangswohnheim, in dem Frauen für ein bis zwei Jahre Unterkunft und Betreuung erhalten. Regisseur Riahi hat vor nunmehr zwölf Jahren seinen Zivildienst dort absolviert und Filmaufnahmen gemacht. Nun ist er dorthin zurückgekehrt und hat die Frauen ein Jahr lang mit der Kamera begleitet. In wenigen Sequenzen ist auch altes Material zu sehen. Wir treffen Rula, die aus Syrien kommt, die damals kein Kopftuch trug. Jetzt trägt sie eines, aus Dankbarkeit für ihren Sohn, mit dem sie ihrem Mann wider Willen nach Algerien folgen soll. Wir sehen Svetlana, die Stimmen hört und eine innige Beziehung zu Pflanzen aufbaut. Wir lernen Daniela kennen, die keinen Kontakt mehr zu ihren zwei Söhnen hat, und Johanna, die von ihrem Mann geschlagen und der Borderline diagnostiziert wurde.
Arash T. Riahi konzentriert sich auf das Leben im Haus Miriam, dem er wie ein stiller Beobachter beiwohnt. Er selbst tritt nicht in Erscheinung oder Interaktion, führt keine Interviews, arrangiert nicht, erzeugt Nähe und tritt doch in den Hintergrund, sodass die Frauen keinerlei Irritation oder Verstellung durch die Kamera erkennen lassen. Er verschönt nicht, stellt seine Protagonistinnen aber auch nie zur Schau. Er wollte keinen sozialpornografischen Film machen, sagt Riahi, und davon ist er tatsächlich weit entfernt.
Was den Frauen passiert ist, bleibt nur angedeutet, ihre Geschichte beginnt eigentlich erst im Wohnheim. Hier wird auch die Mehrdeutigkeit des Titels Nerven Bruch Zusammen wirksam, der den negativ konnotierten Nervenzusammenbruch in seine Einzelwörter zerlegt und neue Zusammensetzungen und Deutungen ermöglicht, vom Bruch mit der Vergangenheit oder der Gesellschaft bis zum Zusammenraufen oder Zusammenhalt im Haus. Der Film ist in dem Sinne hoffnungsvoll, da er den Blick nicht auf das Trauma legt, sondern auf die Überwindung der Krise in der Gemeinschaft und auf das Ziel einer erstarkten Selbständigkeit – die in Rula wunderbar verkörpert ist und noch dazu unsere westlichen Vorstellungen konterkariert: Eine muslimische Frau emanzipiert sich und entschließt sich ein Kopftuch zu tragen.
Nerven Bruch Zusammen ist ein behutsamer Film, mit dem es Riahi gelingt den Frauen des Hauses Miriam ihre Würde zurückzugeben, indem er nicht ihre Mängel zum Thema macht, sondern sie als Menschen, als Persönlichkeiten zeigt. Er aktiviert in den Zuschauern nicht Mitleid, sondern Anerkennung und Respekt vor diesen Frauen. Die Zuschauer geht es etwas an, was mit den Frauen passiert, wenn auch nur für die kurze Zeit des Films – und das ist das Einzige, was trist daran ist.
Regie/Drehbuch: Arash T. Riahi, Filmlänge: 94 Minuten,
Kinostart: 01.03.2013, nervenbruchzusammen.com