Ein Oscar für Ruhm und Ehre
Die Verleihung der Academy Awards steht vor der Tür. Die Film- und Kritikerwelt verliert sich in Spekulationen. Wie jedes Jahr hört man, dass es bei den Oscars schon lange nicht mehr um Qualität ginge. Der eine und andere Film wurde schlicht übergangen, weil er zu genial, radikal, künstlerisch oder was auch immer ist. Die unvergleichliche Leistung eines Schauspielers war zu gewagt, eine Actrice war nicht schön oder hässlich genug, die (amerikanische) Gesellschaft ist zu prüde, die Zeit noch nicht reif für so manches Meisterwerk. Ein reines Geldgeschäft seien die Preise geworden.
Harvey Weinstein, nach dem Verkauf von Miramax an Disney in den 1990ern totgesagt und mittlerweile auferstanden, gilt als deren erfolgreichster Makler. Letztes Jahr schafften die Filme, die unter der mit seinem Bruder Bob geführten Weinstein Company entstanden sind oder vertrieben wurden, insgesamt 16 Nominierungen, darunter The Artist, The Iron Lady und My Week with Marilyn. The Artist wurde als Außenseiter biblischen Ausmaßes geführt, der Vergleich David gegen Goliath bemüht. Ein Film von 14 Millionen tritt gegen Filme von 140 Millionen an – klingt wie ein Märchen und wurde auch so verkauft. Der Erfolg war hingegen wenig überraschend. The Artist verkörpert den Mythos Hollywood nicht nur, er lässt ihn als Filmgeschichte hochleben. Die Traumfabrik liebt solche Stories, vor allem wenn sie selbst darin die Hauptrolle mit Happy End spielt.
Man spricht von mehreren Millionen Dollar im zweistelligen Bereich, die es pro Film braucht um die Academy-Mitglieder durch gezieltes Marketing und Networking von dessen herausragender Qualität zu überzeugen. In der Branche heißt das dann allerdings: „He [Weinstein] has great taste and perseverance“ oder direkter formuliert: „He cajoles, bullies, sweet-talks key taste-makers, journalists and anyone with a vote“ (DailyMail UK). Das klingt nicht unbedingt nach „Qualität spricht für sich selbst.“ Der Umkehrschluss, dass die Filme keine Qualität hätten, trifft aber ebenso wenig zu.
Dieses Jahr sind drei Weinstein-Filme für Hauptkategorien im Rennen: Django Unchained, Silver Linings und The Master. Wenn Kathryn Bigelow und Marc Bowl das Angebot nicht abgelehnt hätten, wäre auch Zero Dark Thirty von Weinstein produziert worden. Harvey Weinstein ist nicht überall beliebt und dass er sich auch nicht unbedingt beliebt macht, zeigt die Episode mit Bigelow. Nach ihrer Ablehnung ließ er es sich nicht nehmen, mit einem TV-Streifen vom Osama bin Laden-Stoff zu profitieren. Harvey Weinsteins Reaktion auf die diesjährigen Nominierungen: „I am blown away! I can’t say thank you enough to the Academy for their support of our films.“ Na ja, „blown away“ …
Wir befinden uns in der Welt der Übertreibungen, der Welt aus Schall und Rauch. Wir befinden uns in der Filmbranche und da soll gerade ein Preis ohne Inszenierung und Schauspiel auskommen? Hollywood ist die Institution, die das größte Selbstmarketing betreibt und mit unvorstellbaren Zahlen nur so um sich schmeißt. Mit Produktionskosten zu werben hat immer einen schalen Beigeschmack. Es soll Menschen geben, für die Zahlen nicht mehr als eine numerische Aussage darstellen und die das viele Gerede um Geld und den Glanz der Stars unangenehm finden. Ich zähle mich selbst zu der Sorte und höre Arnold Höllriegel, den ebenso begeisterten wie kritischen Hollywood-Reporter der 1920er Jahre, in mein Ohr flüstern: „Sie sind vorläufig noch damit beschäftigt, mit dem Säckel Fortunati zu klimpern, ganz glückselig über die Dukaten.“ Im nächsten Satz ist schon vom Teufel die Rede. Ja, manchmal hat man das Gefühl, dass es bei diesen Beträgen nicht mit rechten Dingen zugehen kann.
Nichtsdestotrotz, für jede und jeden der Branche und für das Publikum ist der Oscar ein Heiligtum. Geld, Glanz und Glamour beeindrucken den Großteil der Menschen. Immerhin ist die Academy genau deshalb erfunden worden, um dem Ende der 1920er Jahre in eine Krise geschlitterten Film ein neues Image zu verleihen. Es mag erstaunen, aber was man vergeblich auf der Academy-Seite sucht, ist das Preisgeld, das die Gewinner der Statuetten mit nachhause nehmen dürfen. Es gibt nämlich keines. Freilich genügt einem Film schon eine Nominierung um an den Kinokassen einen deutlichen Bonus einzuspielen, auch die Aufnahme in die ‚Academy-Familie‘ und Folgeverträge können sich sehen lassen. Aber numerisch gesprochen ist die Statue etwa 300 Dollar wert.
Also doch ein Gedanke von Ruhm und Ehre, der darüber hinaus eine wünschenswerte Geldanhäufung produzieren kann: „Oscar Sunday is an event meant to be a shared with others. This network of fundraising parties across the nation is just that: a shared experience. These gatherings also represent the year-round philanthropic work the Academy does,“ wie Academy CEO Dawn Hudson es formuliert. Doch am liebsten ist mir immer noch: Über Geld spricht man nicht. Oder ein kleiner euphorischer Hoffnungsschimmer von den Anfängen des Kinos, als Carlo Mierendorff den Film als Teil des Klassenkampfes sah: „In Kultur darf jeder schmarotzen. Das Kino ist ein Lebens–mittel, kein Tennisball kapitalistischer Interessen.“ Nun ja, wir wissen, was aus dem Klassenkampf geworden ist.