Die Lebenden
Die Aufarbeitung der Nazi Vergangenheit hat, vor allem in Österreich, bekanntlich sehr spät begonnen. Dass das Thema, beladen mit den Fragen von Schuld, Verantwortung und Verzeihen auch fast 67 Jahre später immer noch wichtig für die eigene Identität und Entwicklung ist, zeigt Barbara Albert an der Geschichte Sitas…
Sita lebt in Wien und studiert Germanistik. Ihre Eltern leben getrennt, ihr Vater wohnt in Wien und das Verhältnis der beiden ist gespannt. Als Sitas geliebter Opa seinen 90. Geburtstag feiert, fährt sie nach Wien. Bei ihrem Vater in der Wohnung entdeckt sie ein Foto von ihrem Opa in SS-Uniform, das sie neugierig macht. Gegen den Willen ihres Vaters spürt sie ihrer Familiengeschichte nach und muss feststellen, dass ihr Großvater in Polen Anfang der 40er-Jahre nicht Aufseher in einem Erziehungsheim war, sondern in Auschwitz und, dass auch ihr Vater dort geboren wurde. Die verzweifelte Suche nach der Wahrheit und in weiterer Folge nach der eigenen Herkunft, führt Sita von Wien nach Warschau und Rumänien, wo ihre Großeltern ursprünglich herkamen.
Auch wenn Barbara Alberts neuer Film eine (teilweise) fiktive Geschichte, ein Drama, darstellt, verfährt sie an einigen Stellen dokumentarisch: Sita arbeitet sich durch die Archive, auf der Suche nach Namen, Jahreszahlen und Fotos, befragt die Verwandten und besucht Auschwitz. Die Rahmenhandlung zeigt Sitas Leben, das schwierige Verhältnis zu ihrem Vater, ihre Hippie-Mutter, Enttäuschung in der Liebe und neue Bekanntschaften.
Die Begegnungen auf ihrer Suche helfen ihr weiter oder wollen sie zurückhalten – doch im Grunde dreht sich alles um die Aufklärung der Wahrheit – der Wahrheit ihres Großvaters, der kurz nach seinem Geburtstag stirbt und keine Antworten mehr geben kann. Sita ist dadurch auf den Bruder ihres Vaters angewiesen, der Jahre zuvor den Großvater interviewt und die Geschichte in einem Buch veröffentlicht hatte und so zum „schwarzen Schaf“ der Familie wurde. Er weiß die Antworten auf viele Fragen. Doch damit fertig zu werden, das ist letztlich Sita allein überlassen.
Barbara Albert zeigt mit diesem Film, dass auch heute, wo ja die Tätergeneration des Krieges großteils bereits gestorben ist, der Stoff an Aktualität nicht verloren hat und für junge Menschen immer noch wichtig ist zu erfahren, was damals passierte. Die charismatische Protagonistin Anna Fischer schafft es diesen Generationenkonflikt glaubhaft darzustellen. Auch wenn die Rahmenhandlung und die zufälligen Begegnungen der Protagonistin oft aufgesetzt und die vermeintlichen Zufälle künstlich wirken, lehrt uns der Film eine wichtige Sache: Auch wenn Fragen nach Schuld, nach dem Verzeihen und die Suche nach der eigenen Identität nicht eindeutig geklärt werden können, tragen Aufklärung und das Bescheidwissen der Geschichte und Wahrheit zu einem besseren Verständnis von sich selbst und der Umwelt bei.
Regie & Drehbuch: Barbara Albert, Darsteller: Anna Fischer, August Zirner, Winfried Glatzeder, Hans Schuschnig, Itay Tiran, Laufzeit: 100 Minuten, Kinostart: 23.11.2012