Estebans – IR
Was Alleingänge von Musikern in Bandformationen betrifft, gab es in den letzten Jahren ja einiges zu berichten. Immer öfter finden sich Künstler, die – sobald es zum kreativen Stillstand in den eigenen Reihen der Musikerkollegen kommt, im Rahmen eines eigenen Solo-Albums nach Selbstverwirklichung streben…
Für viele gespannte Musikliebhaber und ebenso auch in den Gewässern der Kritiker, sind diese Debüt-Werke dann auch etwas besonderes. Allerdings ist es weitaus interessanter abzuwarten und zu beobachten, ob das nachfolgende Album zumindest funktioniert oder vielleicht sogar an das Debüt Album heranreicht. Denn allzu häufig sind Mitglieder aus bekannteren Bandformationen nach ihrem Solo-Debüt leer und haben den Schaffensdurst nach etwas Eigenem bereits zu Genüge gestillt. Nun hat schließlich auch Esteban’s zweite Langspielplatte den Weg auf den Kritikertisch gefunden. Der Albumtitel „IR“ widerspiegelt bei genauerem Hinsehen und -hören das gesamte Album.
Denn so wie die Buchstaben „I“ und „R“ eigentlich für „In Rebellion“ stehen, so versucht Christoph Jarmer mit seinem Projekt Esteban’s in sich hinein zu hören um eine Blaupause seiner Gedanken und Stimmungen zu erstellen. Alles in allem ist es ein suchendes und fragendes Album, das melancholisch verträumte Ansichten und Ideen aufwirft. Und hier wird bereits die erste Hürde überwunden, da „IR“ weder Antworten liefert, noch predigend nach Halbweisheiten Ausschau hält. Denn damit versorgt sich der Zuhörer durch seine eigene Gedankenwelt bereits zu Genüge.
Musikalisch liefert „IR“ keine großartigen Überraschungen. Herr Jarmer hat es gekonnt vermieden, eine Vielzahl von Instrumenten heranzuziehen, um einen breiten Klangteppich zu schaffen. Für das, was er zu sagen hat, reichen ihm der schlicht gehaltene Gitarrenklang mit verspielten Abläufen, hin und wieder ein paar Streicher und gelegentlich etwas Percussion. An dieser Stelle muss aber gesagt werden, dass simple Abläufe weder falsch noch einfach sein müssen. Reduktion ist in vielen Fällen oft die bessere Entscheidung und auch sehr schwer. Bei folgender Herangehensweise läuft man dafür in Gefahr, ein Album zu produzieren, das von Lied zu Lied dünner und eintöniger wird. „IR“ besitzt stellenweise Momente, in denen es fast der Fall ist. Aber dann liefert das folgende Lied wieder den nötigen Stimmungs- oder Tempowechsel. Dass die Vielseitigkeit etwas zu kurz kommt, ist hier vielleicht noch die größte Schwäche des Albums.
Für Hörer und Leser, die den Genre-Steigbügel benötigen um sich auf „IR“ einzulassen, kann an dieser Stelle gesagt werden, dass sich Esteban’s zweites Album etwas gemäßigter gibt, als sein Debüt. An den ruhigeren Stellen finden sich Momente, in denen die Gitarre an frühere Bright Eyes Platten erinnert und dann mal wieder eher nach einem Eddie Vedder im Alleingang klingt. Stimmlich wird man sogar noch etwas weiter in die Vergangenheit entführt. Denn gerade an Stellen bei denen die Stimme zu einem Chor gedoppelt wird, sind Spuren von einem Art Garfunkel hörbar. Insbesondere wenn man den Titel – und da fallen die Wörter erneut – „Bright Eyes“ im Ohr hat. Das Album verliert hier das Moderne, das man im Debüt vorgefunden hat. Die Reduktion liefert hier dann auch noch den fehlenden Beitrag dazu und verbaut die Möglichkeit etwas Neues zu liefern. Allerdings sollte man auch in Erwägung ziehen, dass das auch gar nicht Christoph Jarmer’s Intention bei diesem Album gewesen ist.
Nach dem ersten Titel „Time Bomb“ ist mit der Aussage „We need volunteers with covered eyes“ schon einmal die erste Aufforderung vorgegeben. Ohne zu stark aufzudrücken, liefert der Anfang des Albums keine klare Richtung. Erst beim zweiten Titel „Preservation“ wird das Tempo angezogen und mit einem volleren Chor die Stimmung positiv nach oben befördert. Der berühmte 3. Track, der von vielen oft auch als der wichtigste auf einem Album bezeichnet wird, kommt hier eher unscheinbar und plätschert langsam dahin. Hier stellt sich vielleicht der gefährlichste Moment des Albums ein, wo einige Hörer es durchaus in Erwägung ziehen könnten abzuschalten. Diejenigen die weiterhin am Ball bleiben, bekommen aber dann mit „Not a Whit Better“ die Erklärung einer Selbstkritik zu hören.
Die bezeichnenden Zeilen „Ladies and Gentlemen, I present to you: a Failure“ erinnern hier einen kurzen Moment lang an den typischen Rhythmus einiger Garish Titel und lassen seine Wurzeln dann doch wieder aufblitzen. Die nachfolgenden Lieder veranlassen einen leider etwas dazu, die Forward Taste zu betätigen. Erst bei „Mirrors“ ist erneut die am Anfang hörbare Abwechslung sichtbar. Bei „The Tenor“ und „I Call You Baby“ stellt sich zwar wieder eine Ruhe ein, die aber durch Streicher und einem chorartigen Gesang doch etwas mehr zu bieten hat als im Mittelteil. Bei „Goal“ wird dann zum Abschluss mit viel Percussion das Ende eingeleitet und entlässt den Zuhörer mit einem Album, auf das man sich zuvor einlassen muss, um es sich in einer passenden Stimmung in voller Länge anhören zu können.
Auch wenn es im Mittelteil gewisse Schwachstellen liefert, ist dennoch zu empfehlen, sich „IR“ als Gesamtwerk zu Gemüte zu führen. Was den Zeitpunkt der Veröffentlichung betrifft, wäre es vielleicht doch passender gewesen, es in den Herbst zu verlegen, da sich eher das Gefühl einstellt, eine Langspielplatte dieser Art eher im Winter als im Sommer aufzulegen. Mit einem Hauch von Eskapismus und dem Kopf in den Wolken („Keep your Head in the clouds“) ist Christoph Jarmer ein Projekt gelungen, das mit dem zweiten Album erst so richtig beweisen konnte, dass Esteban’s mehr zu bieten haben wird, als dass Herr Jarmer neben einer gewissen Band die man schätzen gelernt hat, nur Zeit tot schlagen möchte.
Estebans – IR, 2012 Schönwetter Records