The-Artist-(c)-2015-Universum

The Artist

9
Drama

Unruhig zuckende Schattenbilder, das Rattern des Projektors, aufgeregte Musik – das waren noch Zeiten, als der Film stumm war! „The Artist“ ist zwar ein Film über den Stummfilm, der sich auch in Schwarz-Weiß kleidet und beinah zur Gänze ohne gesprochene Sprache auskommt, doch er schlüpft nur in dessen Rolle. Er präsentiert sich mit gestochen scharfen Bildern und einer präzisen Tonspur. Nicht nur die Aufmachung des Films huldigt dem Stummfilm seine Reverenz, auch die unterhaltsame, temporeiche Story tut es. Sie ist zeitlich am Übergang vom Stumm- zum Tonfilm angesiedelt und erzählt die Geschichte eines Stummfilmstars, der die Entwicklung zum Ton nicht mitmachen möchte.

George Valentin (Jean Dujardin) und sein kleiner Hund Jack (Uggy) sind die unangefochtenen Publikumslieblinge – bis der Tonfilm den Stummfilm verdrängt und sich in Gestalt der temperamentvollen Peppy Miller (Bérénice Bejo) ein neues Sternchen am Filmhimmel auftut. Trotz Druck von Seiten des Produzenten (John Goodman) verwehrt sich Valentin dem neuen Trend und macht seinen eigenen Stummfilm, der zugleich mit dem ersten Tonfilm der Peppy Miller anläuft; der eine floppt, der andere wird eine Sensation. Valentins Film trägt den Titel „Tears of Love“ und die einzige (aufgrund der geringen Zuschauerzahl), die Tränen vergießt, ist Peppy Miller, aber das tatsächlich aus Liebe. Valentin ist ruiniert und schlittert immer tiefer ins Elend, bis er eines Tages erneut auf Peppy Miller trifft und sich neue Wege für ihn auftun.

Der französische Regisseur Michel Hazanavicius bedient sich des Repertoires des historischen und zeitgenössischen Effektkinos um nicht nur eine Episode aus den Anfängen des Films zu erzählen, sondern das Medium Film und seine Welt (d. i. nun mal Hollywood) zu feiern. Hazanavicius vollbringt das mit einer Vielzahl an Verweisen und Zitaten, von Murnau, über Orson Welles, bis zu Hitchcock. Wir fühlen uns an Douglas Fairbanks erinnert, befinden uns mitten in „Singin‘ in the Rain“, sehen eine Szene aus „Citizen Kane“ und hören Vertigos Filmmusik. Und natürlich denken wir an Norma Desmond, die in Billy Wilders „Sunset Boulevard“ an den Entwicklungen des Films zerbricht. Die vielen Zitate machen „The Artist“ zu einer aus Elementen der Filmgeschichte zusammengesetzten Hommage, einer Montage, die als Ergebnis wiederum die Geschichte des Films erzählt.

„The Artist“ hat Charme und Humor, und auch die Schauspieler versprühen jede Menge davon. Jean Dujardin und Bérénice Bejo bieten eine großartige Darstellung und vermögen es, ihren Figuren sowohl den Charakter von Klassikern zu geben, als auch den Zeitgeist der ausgehenden 1920er Jahre einzufangen. In Abwesenheit der gesprochenen Sprache ist es vor allem ihr Körper, den sie mit Mimik und Gestik ganz zauberhaft zum Sprechen bringen. Sie zeigen glücklicherweise kein expressiv übersteigertes Schauspiel. Dujardin und Bejo imitieren nicht, sie sind nicht Stars in einem Stummfilm, sondern spielen solche.

Diese Haltung gilt für den gesamten Film. Hazanavicius gelingt es die Mittel des Stummfilms zeitgemäß einzusetzen. Ausgesprochen gelungen sind dann auch die Szenen, in denen der Regisseur die Zäsur zwischen Vergangenheit und Gegenwart des Films und dadurch die unterschiedlichen Ebenen seiner Inszenierung und seines Drehbuchs sichtbar macht. Wenn er beispielsweise in der Eröffnungsszene einen Schwenk vom projizierten Stummfilm auf der Leinwand, über das emotionale, aber nicht hörbare Publikum und das wiederum hörbare Orchester, zum stummen Ablauf hinter der Leinwand vollzieht. Oder wenn ein Traum des Protagonisten plötzlich in Ton abläuft.

In „The Artist“ ist nichts beliebig, nichts zu viel und nichts zu wenig. Hazanavicius hat einen makellosen, vielschichtigen und doch grandios kurzweiligen und unterhaltsamen Film geschaffen. Nicht zuletzt der Umstand, dass Hazanavicius Filmidee anfangs verlacht wurde und er nun die Filmwelt in einem verblüffenden Siegeszug erobert (Goldene Palme für Dujardin, Palm Dog Award für Uggy, 3 Golden Globes, 10 Oscar-Nominierungen) ist äußerst beeindruckend.

In dem Film, mit dessen Projektion „The Artist“ beginnt, spielt Valentin einen Mann, der von kommunistischen Agenten unter der Einwirkung von Lärm zum Sprechen gebracht werden soll. Er verweigert sich den ganzen Film erfolgreich. Nur einen Satz hören wir ihn am Ende, beinah unmerklich, bescheiden und verhalten, sagen: „Thank you“. Und es scheint als möchte Hazanavicius damit sagen: „Thank you, Hollywood.“

Regie & Drehbuch: Michel Hazanavicius, Darsteller: Jean Dujardin, Bérénice Bejo, John Goodman, James Cromwell, Penelope Ann Miller, Missi Pyle, Malcom McDowell, Beth Grant; Länge: 100 Minuten; Kinostart: 27.1.2012




Entdecke mehr von pressplay

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen