My Son, My Son, What Have Ye Done
Die Erfüllung eines Cineasten-Traums: Eine Kollaboration von David Lynch und Werner Herzog. Die fabelhafte Welt der surrealistischen Mehrdeutigkeit des amerikanischen Enfant terrible trifft auf die kuriosen, zugleich bewegenden Abgründe menschlicher Existenzen aus der Feder der deutschen Regielegende.Nun, zumindest deutet anfangs nur der in den Credits aufscheinende Verweis von Lynch als ausführender Produzent auf diese hochinteressante Zusammenarbeit hin. Aber an dieser Stelle gleich mal ein Spoileralarm für Fans und Interessierte vorweg, denn glücklicherweise verschwinden Zweifel an der Involvierung Lynchs spätestens bei der Szene, in der ein für die Handlung komplett irrelevanter Kleinwüchsiger ( Austin Powers „Mini-Me“ Verne Troyer) im Smoking auf einer einsamen Waldlichtung spaziert und im Anschluss mit zwei weiteren Charakteren regungslos für gefühlte fünf Minuten direkt in die Kamera starrt.
Der Plot entwickelt sich anfangs noch recht nachvollziehbar: Zwei Cops der Mordkommission (Willem Dafoe, Michael Peña) begeben sich in eine scheinbar idyllischen Vorstadtszenerie, um dort beim brutalen Mord einer gewissen Ms. McCullum (Eine Langzeitgefährtin Lynchs, Grace Zabriskie) zu ermitteln. Im pastellfarbenen Flamingo-Paradise von San Diego angekommen wird auch schnell der Tatverdächtige des Mordes ausgemacht: Sohn Brad McCullum (Der heimliche, furchterregende Star von Boardwalk Empire, Michael Shannon), der schon nach seiner erst kürzlich erlebten Peru-Reise als verändert galt, hält in seinem naheliegenden Haus zudem nicht nur zwei Geiseln gefangen, sondern hat laut eigener Aussage auch Gott innerhalb seiner vier Wände.
Klingt vielversprechend, ist es zudem auch: Herzog hat ja bekanntlich Erfahrung mit tiefgründigen, undurchsichtigen und zugleich am Rande des Wahnsinns stehenden Charakteren – vom geliebten Feind Klaus Kinsky bis jüngst zu Nicholas Cage als Bad Lieutenant befindet sich ein reichhaltes Schauspieler- und Figuren-Spektrum im Fundus des Regisseurs.
Multipliziert man Herzogs Können in Sachen Montage, schauspielerischer Leitung und Kameraarbeit mit einigen der noch nachvollziehbareren Elementen aus David Lynchs OEuvre (Pre-Mulholland Drive in etwa), so gelangt man recht schnell zum Kern von My Son, My Son, What Have Ye Done. Eine denkbar einfache Rahmenhandlung wird hier als Grundgerüst aufgebaut, nur um Stück für Stück, Minute um Minute wieder dekonstruiert zu werden und mit einer vielleicht etwas zu gemächlichen Auflösung zu enden. Vielleicht ist die gemeinsame Produktion keine wirkliche Ergänzung des Hauptwerks von Werner Herzog noch von David Lynch, für ausgehungerte Fans der beiden Regielegenden aber sicherlich ein mehr als triftiger Grund, wieder einmal in eine Cineasten-Euphorie zu verfallen, wie sich nur bei den beiden Persönlichkeiten zustande kommen kann. Filmfans, die auf der Suche nach rudimentärer, leicht verdaulicher Thriller- oder Dramakost sind, sollte sich die Sichtung oder den DVD-Kauf vorab genau überlegen.
Regie: Werner Herzog, Drehbuch: Werner Herzog, Herbert Golder, Darsteller: Willem Dafoe, Michael Shannon, Brad Dourif, Udo Kier, Chloe Sevigny, Grace Zabriskie, Laufzeit: 88 Minuten, DVD-Release: 18.11.2010