1917-(c)-2019-Universal-Pictures(10)

1917

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Kriegsdrama

Die 92. Verleihung der Academy Awards steht quasi vor der Tür. Nur Zufall, dass einen Monat davor ein Film in die Kinos kommt, der durch eine überwältigende Inszenierung beeindruckt, oder ist 1917 doch nur klassischer Oscar-Bait?

Wie der Titel des Films bereits verrät spielt das aktuellste Werk von Oscar-Preisträger Sam Mendes im Jahr 1917, zur Zeit des Höhepunkts im Ersten Weltkrieg. Zwei jungen britischen Soldaten wird in Frankreich eine unmögliche Aufgabe erteilt. Im Wettlauf gegen die Zeit müssen die beiden Infanteristen feindliches Territorium durchqueren, um eine Nachricht zu übermitteln. Diese enorm wichtige Nachricht soll einen Angriff stoppen, welcher in einem Hinterhalt enden würde und tausenden britischen Soldaten das Leben kosten könnte. Eile ist geboten.

 

Bereits Wochen vor dem Kinostart von 1917 wurde im Internet ein Promo-Video veröffentlicht, welches den eindrucksvollen Produktionsprozess und Besonderheit dieses Filmes hervorheben soll: Ein Kriegsdrama gefilmt in einem „One-Shot“, einer Plansequenz. Das spezielle an einem „One-Shot“ ist, dass ein gesamter Film ohne vermeintlichen Schnitt gedreht wurde. Oft werden jedoch Schnitte in das Werk hineingeschmuggelt, ohne, dass es der Zuschauer es bemerkt. In der Filmgeschichte ist dieses Stilmittel nicht neu, bereits Filme wie Cocktail für eine Leiche (1948) von Alfred Hitchcock, Birdman (2014) von Alejandro G. Iñárritu oder Victoria (2015) von Sebastian Schipper bedienten sich dieser speziellen Aufnahmetechnik. Es lässt sich nicht bestreiten, dass diese Technik unglaublich aufwendig und sehr beeindruckend ist. Es bedarf inszenatorischem Feingefühl und einem intensiven Probenprozess. Diese beeindruckende Inszenierung ist auch Sam Mendes (Oscar für Beste Regie 2000) und Roger Deakins (Oscar für Beste Kamera 2018) bei 1917 gelungen. Technisch ein wahrer Bombast. Immer wieder entstehen Szenen, die eine enorme Sogwirkung entwickeln und minutenlange Gänsehaut oder Atemnot erzeugen. Dass diese technische Inszenierung im Zentrum des Films steht, ist kaum übersehbar. Jedoch ist sie in 1917 zu zentral. Im Film-Jargon gibt es dazu eine sehr passende Phrase: „Style over Substance.

Das Stilmittel der Plansequenz schiebt sich konsequent in den Vordergrund, sodass die Narration und die Dramaturgie so belanglos werden, dass die bereits angesprochene Sogwirkung in eine empathielose Lappalie mündet. Ja, 1917 ist visuell und inszenatorisch sehr beeindruckend, jedoch lässt der Film die Zuschauerin, den Zuschauer kalt. Kriegsdramen wie Der Soldat James Ryan (1998) oder Platoon (1986) waren gegenüber 1917 viel dringlicher und auch immersiver, da dort echtere Charaktere, echt anmutenden Horror erleben mussten. Die Figuren im Film sind zu oberflächlich und bieten kaum eine Verbindungsmöglichkeit mit der Zuschauerin, dem Zuschauer. Sie wirken teilweise wie Computerspiel-Charaktere, die von einem Level ins nächste hetzen. Dabei verliert 1917 leider viel dramaturgisches, sowie emotionales Potential, welches in einem Kriegsdrama enorm wichtig ist.

Den beiden Hauptdarstellern Dean-Charles Chapman und George MacKay kann man nichts vorwerfen, denn die beiden Schauspieler machen ihre Sache gut. Jedoch verlangen ihnen die Rollen nicht viel ab. Neben überwältigender Kameraarbeit, die staunende Gesichter im Kinosaal zurücklässt, bleiben plumpe, mit Pathos überfüllte Dialoge zurück, welche das ein oder andere Gähnen hervorruft. Kamera, Szenenbild, Kostüme und Score sind in 1917 die stärksten Elemente, die den Film in einen atmosphärischen Kriegsschauplatz verwandeln. Die Zuseherin, der Zuseher begleitet dabei durchgehend und ohne den Blick von den beiden Protagonisten abzuwenden eine actiongeladene und imposante Reise. Bestimmte Szenen verdeutlichen, dass 1917 eine technische Meisterleistung ist, wodurch das Making-Of fast interessanter als der Film selbst wird. In Symbiose mit dem treibenden und gleichzeitig gefühlvollen Score von Thomas Newman erzeugt der Film Szenen, die sprachlos machen und Spannungsbögen bis zum Maximum ausdehnen.

Das Kriegsdrama 1917 ist ein Film für die Augen, eine visuelle und technische Granate. Leider handelt es sich nur um eine Blendgranate, die die Sicht auf Narration und Dramaturgie trübt, denn diese beiden essentiellen Aspekte, werden aufs Minimum reduziert. Ein Film, der nur szenenweise emotional immersiv wird und doch hinter den Erwartungen zurückbleibt. Eins bleibt 1917 jedoch: eine hohe Chance auf eine goldene Statue.

Regie: Sam Mendes, Drehbuch: Sam Mendes, Krysty Wilson-Cairns, Darsteller: Dean-Charles Chapman, George MacKay, Mark Strong, Richard Madden, Benedict Cumberbatch, Colin Firth, Filmlänge: 118 Minuten, Filmstart: 16.01.2020




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